Der Heilige Krieg
1869 in Betrieb genommen worden. Aber Ägypten hatte sich mit dem gigantischen Projekt finanziell ruiniert. 1875 brachten sich die Engländer in den Besitz der Aktienmehrheit an der französisch-ägyptischen Betreibergesellschaft des Kanals und stellten in den folgenden Jahren im Verbund mit anderen
europäischen Staaten das bankrotte Nilland unter eine internationale Finanzaufsicht. Doch gegen die Einflussnahme der Europäer regte sich Widerstand. Am 11. Juni 1882 kam es in Alexandria zu blutigen Unruhen, bei denen eine Reihe von Ausländern ermordet wurde. Großbritannien nahm die Ausschreitungen zum Anlass, Ägypten zu besetzen, die Unabhängigkeitsbewegung niederzuschlagen und die Kanalzone militärisch zu sichern.
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Die Eröffnungszeremonie des Sueskanals in Port Said 1869. Wenige Jahre später verstärkte der europäische Einfluss auf die Wasserstraße den ägyptischen Widerstand.
Angesichts dieser Verhältnisse gewann auch der Aufstand des Mahdi immer mehr Unterstützer. Denn die im Sudan stationierten Ägypter galten als Handlanger der Briten. Ein britischer Gouverneur, britische Soldaten und andere Ausländer stellten für die Mahdisten eine permanente Provokation dar. Und das nicht nur, weil Ungläubige über Muslime herrschten, sondern auch, weil sie den nach wie vor lukrativen Sklavenhandel in der Region bekämpften. Mit Muhammad Ahmad erhielt die Unabhängigkeitsbewegung einen charismatischen Führer. Seine territorialen Ambitionen gingen sogar weit über den Sudan hinaus: Ihm schwebte die Wiedererrichtung eines islamischen Gottesstaats vor, dersich
von Mekka bis Konstantinopel erstreckte. Als Mittel, um sein Ziel zu erreichen, diente der Dschihad, der Heilige Krieg, mit dem die verhassten Ausländer ein für alle Mal aus dem Land der Muslime vertrieben werden sollten. Die fanatischen Glaubenskrieger, die ihre schlechte Bewaffnung durch Todesmut wettmachten, geisterten schon bald als Schreckgespenst durch die europäische Presse. Der Dschihad des Mahdi gilt als die erste erfolgreiche Rebellion eines afrikanischen Landes gegen den Kolonialismus.
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Der Sueskanal verkürzte den Seeweg von Europa nach Asien erheblich.
Die Streitmacht des Mahdi zog eine blutige Spur durch das Land, schlug mehrere britische Truppenkontingente vernichtend und eroberte schließlich die Distrikthauptstadt Khartum. Der Tod Lord Gordons, eines populären Helden aus der Zeit des Opiumkriegs in China, mobilisierte die britische Öffentlichkeit in zuvor nie gekannter Weise. Die Regierung geriet unter Druck, weil sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, Gordon im Stich gelassen zu haben. London machte sich nun daran, die Schmach zu tilgen und die Rebellen zu bestrafen. Doch es sollten noch 18 Jahre vergehen, bis es der Supermacht gelang, sich nachhaltig durchzusetzen.
1898 stellte eine britische Armee, ausgerüstet mit modernen Maschinengewehren, die Aufständischen bei Omdurman. Der Mahdi selbst war schon einige Jahre zuvor gestorben. Aber seine Bewegung war damit nicht erloschen, sondern behielt auch unter seinem Nachfolger weiterhin die Kontrolle über das Land. Der politische Erbe des Mahdi besaß allerdings nicht das militärische Talent seines Vorgängers. Binnen fünf Stunden fielen 10 000 muslimische Kämpfer im Geschosshagel, während die Briten nur 500 Mann verloren. Das Gemetzel beendete die Unruhen im Sudan. Der siegreiche Lord Kitchener ließ den Sarkophag des Mahdi in Omdurman aufbrechen und die sterblichen Überreste in den Nil werfen. Das war die Rache für Gordon.
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Öffentliche Hinrichtung eines Aufständischen während der Unruhen in Alexandria, 1882. Foto aus dem Album eines britischen Generals.
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Bei Omdurman im Sudan wurden 1898 über 10 000 Rebellen von britischen Maschinengewehren niedergemäht.
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Nach seinem Tod errichtete man dem Mahdi in Omdurman ein gewaltiges Mausoleum, das während der Kämpfe im Jahr 1898 beschädigt wurde.
Das Empire hatte triumphiert und ein blutiges Exempel statuiert. Aber trotz seines Scheiterns legte der Mahdi-Aufstand auch die Achillesferse des britischen Weltreichs bloß. Zwar war es das größte Imperium, das jemals auf der Erde existierte – es umspannte Ende des 19. Jahrhunderts nicht weniger als 25 Prozent der Landmasse des Planeten, zudem lebte in ihm nahezu ein Viertel der gesamten Menschheit. Doch hier lag auch eine ernste Gefahr: Zu den Untertanen Ihrer Majestät, Queen Victoria, zählten nicht weniger als 100 Millionen
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