Der Heilige Krieg
Kaffee standen hoch im Kurs, die Märchen von Tausendundeiner Nacht und die vermeintlich erotischen Verheißungen des Harems beschäftigten die Fantasien der Zeitgenossen.
Besonders der Adel lebte die Türkenmode aus. In »Türckischen Cammern« wurde stolz die Beute aus den Feldzügen präsentiert. Gerne ließen sich Adlige »in türkischer Manier« porträtieren, etwa als Großwesir, als Zauberin oder gemeinsam als Sklavenpaar. Auch bei Aufzügen und Feiern war türkische Verkleidung sehr beliebt. Für die rauschenden Feste, die
der Sachsenkönig August der Starke in den Elbauen feierte, ließ er sein prachtvolles Beutezelt aufschlagen. Bei der Hochzeit seines Sohnes mit der Tochter des Habsburgerkaisers marschierten sogar 300 verkleidete »Janitscharen« und eine echte osmanische Kapelle auf. Die Meißener Porzellanmanufaktur brachte eine eigene Serie mit türkischen Figuren heraus.
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Kaiserliche Gesandte am Hof des Sultans. Seit dem 18. Jahrhundert waren die Osmanen Teil des europäischen Gleichgewichts.
Bauwerke im orientalischen Stil schmückten die Parkanlagen, im Schwetzinger Schloss entstand für den »Türkischen Garten« eine Moschee mit zwei Minaretten. Wolfgang Amadeus Mozart feierte mit seiner »Entführung aus dem Serail«, einer Oper »alla turca«, Triumphe.
Alles Türkische war schick – mehr aber auch nicht. Ein ernsthafter Diskurs mit dem Fremden fand nicht statt. Die türkischen Motive wurden nur äußerlich übernommen und hatten ausschließlich einen Zweck bei Hofe: sich selbst zu feiern. Das galt auch für die »Beutetürken«: gefangene os-manische
Soldaten und Zivilisten. Die Männer wurden bei Hofe als Stallknechte, Lakaien, Kutscher oder Förster beschäftigt, die Frauen als Küchenhilfen, Zofen und Mätressen. Vor allem in Süddeutschland dienten hunderte osmanische Kriegsgefangene in den Residenzen. Es war eine Frage des Prestiges, sich mit exotischen jungen Türken zu umgeben. Etliche dieser Gefangenen dürften Schlimmes mitgemacht haben, von einem hieß es etwa, man habe ihn »nach Massacrierung seiner Eltern pardonnieret«.
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Ein Höhepunkt der Türkenmode in Deutschland ist die Rote Moschee im Türkischen Garten von Schloss Schwetzingen.
Doch nicht nur bei Hofe lebten die »Beutetürken«. Auch viele Soldaten brachten von den Kriegszügen osmanische Gefangene mit zurück in die Heimat, wovon Einträge in Kirchenbüchern und Inschriften auf Grabsteinen zeugen. Ein Grabstein in Rügland erzählt die ganze Lebensgeschichte eines »Beutetürken«: »Hier ruht in Gott Carl Osman, ward geb. in Constantinopel 1655 / vor Belgrad gefangen 1688 / zu Rügland getauft 1727 / in diensten gestanden 47 Jahr, starb 1735 alt 80Jahr.« Immerhin 39 Jahre konnte dieser Osmane noch seinen alten Glauben in Gefangenschaft behalten, bevor er getauft wurde.
Von den meisten anderen der muslimischen »Ungläubigen« erwarteten
ihre Herren einen schnelleren Religionswechsel. Die »Türkentaufen« fanden unter großer öffentlicher Anteilnahme statt, musste der Täufling während der Zeremonie doch erklären, »wie die Türken von Gottes Wesen irren« und der »verdamblichen greuel der Mahometischen Gotteslästerung« abschwören, bevor er »Erlösung« durch die christliche Taufe fand. Beliebte Namen für die neuen Christen trugen Imperativformen wie Gottlob oder Fürchtegott. Nach der Taufe aber war der Neuchrist ein »gewester Türk« und konnte sich als weitgehend akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft ansehen. Viele heirateten und bestritten als Bäcker, Schuster oder Winzer ihren Lebensunterhalt. Einer wurde Branntweinbrenner, ein anderer gründete ein Kaffeehaus. Mit der Zeit aber gingen diese »Beutetürken« in der deutschen Gesellschaft auf. Sogar der deutsche Nationaldichter Johann Wolfgang von Goethe soll einen osmanischen Vorfahren in seinem Stammbaum haben.
Nach dem Ende des »Großen Türkenkriegs« 1718 existierte das Osmanische Reich noch für über 200 Jahre. Es erlebte Staatskrisen und Aufstände und führte noch zahlreiche Kriege, die aber meist mit Niederlagen endeten. Reiche Provinzen wie Ägypten gingen verloren, die heiligen Stätten von Mekka und Medina wurden zeitweilig von den Kämpfern der ultraorthodoxen Wahhabiten erobert – ein riesiger Prestigeverlust für den Sultan als dem »Hüter der Schlüssel«. Und dennoch trotzte das Osmanische Reich allen diesen Krisen.
Seit dem 18. Jahrhundert traten religiöse Aspekte auch in der osmanischen Außenpolitik
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