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Der Heilige Krieg

Der Heilige Krieg

Titel: Der Heilige Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
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Muslime, ein Drittel der islamischen Weltgemeinde. Sollte der Aufstand des Mahdi Schule machen, sollten sich die Muslime in ihrem Kampf gegen die britische Herrschaft solidarisieren, so stünde das Empire in Flammen. Das ahnte man damals nicht nur in London …
    Der Kaiser und der Sultan
    Das Jahr 1898 sah nicht nur den militärischen Triumph der Briten. Der Orient beschäftigte die internationale Presse noch aus einem anderen Grund. Der war zwar weniger dramatisch, aber durchaus nicht ohne politische Tragweite: der Besuch Wilhelms II. in Jerusalem. Offizieller Anlass der Reise war die Einweihung der protestantischen Erlöserkirche, deren weißer Turm bis heute die Silhouette der Jerusalemer Altstadt prägt. Der Kaiser und König, der qua Amt auch der »Summus Episcopus«« der preußischen Staatskirche war, hatte das Bauvorhaben persönlich gefördert. Wilhelm, der bei Hofgottesdiensten gerne die Predigt hielt, hatte es sich nicht nehmen lassen, der Einweihungszeremonie höchstselbst beizuwohnen . Und so erlebte die Bevölkerung der ehrwürdigen Stadt nach 670 Jahren erstmals wieder den Einzug eines deutschen Monarchen – nebst Gattin. In wallende weiße Gewänder gehüllt, ritt das Kaiserpaar durch die Gassen der Altstadt, die von Tausenden begeisterter Menschen gesäumt waren. Er habe das Gefühl, den Propheten selbst zu sehen, rief ein türkischer Wachsoldat enthusiastisch aus. Der Kaiser hinterließ offenbar einen gewaltigen Eindruck.
    »Es ist bemerkenswerth, wie Deutschland, das sich als Freund des Sultans auch in der Zeit seiner Noth gezeigt hat, von den christlichen Mächten sich gegenwärtig der größten Beliebtheit bei den muhammedanischen Völkern erfreut.«
    Max von Oppenheim,
Orientexperte, 1898

    Bild 130
    Französische Karikatur von Wilhelm II. als »Reisekaiser« im Orient.
    Der fromme Zweck der Reise konnte allerdings nicht verhehlen, dass sich eine eminente politische Bedeutung dahinter verbarg. Denn Jerusalem gehörte damals noch zum Osmanischen Reich, und der deutsche Kaiser war offiziell Gast des Sultans der Türken, Abdülhamid II. Der freilich genoss einen denkbar schlechten Ruf in Europa. In der politischen Presse war er als »roter Sultan« verschrien, als »Schlächter vom Bosporus«. Der britische Premierminister Gladstone nannte ihn gar den »abscheulichen Türken«. Grund für das Negativimage waren massenhafte Ermordungen christlicher Armenier in den Jahren 1894 bis 1896, bei denen vermutlich über 50 000 Menschen den Tod fanden. Inwieweit der Herrscher am Bosporus dafür persönliche Verantwortung trug, ist bis heute umstritten. Aber da die Massaker nun einmal während seiner Regierungszeit geschahen, hafteten sie als hässlicher Fleck auf seinem Ansehen. Da kam der Besuch des mächtigen Mannes aus Deutschland gerade recht. In Konstantinopel mobilisierte man alles, was das orientalische Reich an Pomp zu bieten hatte, um seinen Gast gebührend zu empfangen.
    Doch die wehenden Fahnen, Blaskapellen und Paraden am Bosporus
konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Glanz früherer Jahrhunderte längst verblasst war. Das muslimische Riesenreich, vor dem Europa einst gezittert hatte, glich nur noch einem Schatten seiner selbst. Seine Wirtschaft und Infrastruktur waren hoffnungslos rückständig und seine Finanzen nach mehreren Staatsbankrotten auf Gedeih und Verderb von ausländischen Kreditgebern abhängig, die ihre Ansprüche in Konstantinopel selbst verwalteten. Das Osmanische Reich war kein wirklich souveräner Staat mehr. In Europa sprach man spöttisch vom »kranken Mann am Bosporus« – eine Metapher, die auf den russischen Zaren Nikolaus I. zurückgeht. Denn vor allem der mächtige russische Nachbar hatte ein Auge auf den maroden Staat an seiner Südgrenze geworfen. Nicht weniger als elf Kriege führten die beiden Imperien seit dem 16. Jahrhundert miteinander. Statistisch gesehen lagen zwischen den einzelnen Feldzügen lediglich 23 Friedensjahre.
    Der Grund für diese »Erbfeindschaft« beruhte letztlich auf einem geografischen Zufall. Das Zarenreich besaß trotz seiner gigantischen Landmasse in seinem europäischen Teil nur wenige Häfen, von denen die bedeutendsten an der Küste des Schwarzen Meers lagen, das nur durch das Nadelöhr der Dardanellen und den Bosporus erreichbar war. Diese Meerenge aber kontrollierte das Osmanische Reich. Im Kriegsfall konnten die Türken mit geringem Aufwand den Seeweg blockieren, und die im Schwarzen Meer stationierten russischen

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