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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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wäre - schon 2006 voll rehabilitierte und zum Leiter der apostolischen Gesellschaft päpstlichen Rechts »Institut du Bon Pasteur« in Lyon machte.
    Als Papst Benedikt XVI. im Januar 2009 ohne jede Gegenleistung die Exkommunikation der Piusbruderschaftsbischöfe aufhob, fragten sich viele Katholiken in aller Welt: Wie konnte das passieren? Wieso riskiert er, das Sympathiekapital, das sein Vorgänger für das Papsttum erarbeitet hat, wieder zu verspielen? Wieso nimmt er durch die Rehabilitation dieser Parallelgesellschaft, einer zudem zahlenmäßig verschwindend kleinen Gruppe, in Kauf, dass der Dialog mit dem Judentum und mit den Kirchen der Reformation nachhaltig gestört wird?
    Als Erklärung werden einige Querverbindungen, die es zwischen dem Weltbild Joseph Ratzingers und dem der Piusbruderschaft gibt, nicht ausreichen. Ich möchte aber die Aufmerksamkeit auf eine Beobachtung lenken, die meines Erachtens den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis der Rätsel dieses Pontifikats bietet.
    Schon seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gilt Ratzinger als ausgemachter Gegner der Liturgiereform und Freund der alten Messe. So klagte er 1988 in einer Rede vor den Bischöfen Chiles über die Reform der Liturgie, man habe »die priesterlichen Gewänder beiseitegelegt; man befreite die Kirchen weitestgehend vom Glanz, der an das Heilige erinnert; und wo dies möglich war, reduzierte man die Liturgie durch Grüße, gemeinsame Zeichen der Freundschaft und ähnliche Dinge auf die Sprache und Gesten des normalen Lebens.« [10]
    Und zehn Jahre später schreibt er in seinem Buch Aus meinem Leben: »Ich bin überzeugt, dass die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht. [11]
    Konsequenterweise feierte er daraufhin - noch als Kardinal - bei der Zusammenkunft traditionalistischer Vereine die alte Messe. Für diese Gruppierungen war das ein wichtiges PR-Instrument, mit dem man gegenüber den an der neuen Liturgie festhaltenden Ortsbischöfen auftrumpfen konnte: Schaut her, Rom ist auf unserer Seite! Ihr seid gegen den Papst, wenn ihr uns Steine in den Weg legt!
    Die Aspekte der tridentinischen Liturgie, die sie für viele Gläubige so anziehend macht, sind auch Benedikt XVI. enorm wichtig: dass der Priester mit dem Rücken zu den Gläubigen steht, die lateinische Sprache, die klassische Kirchenmusik, die Mundkommunion. Und vor allem - wie man aus seiner Rede an die südamerikanischen Bischöfe ersehen kann — alles, was mit der kirchlichen Gewandung zu tun hat. War bereits unter Paul VI. eine neue Schlichtheit in die päpstliche Liturgie eingezogen, die besonders die Bekleidung des Papstes betraf und die Johannes Paul II. beibehalten hatte, so weht mit dem Pontifikat Benedikts XVI. ein neuer Haute-Couture-Wind. Ein neuer Zeremonienmeister wurde eingesetzt, der päpstliche Schneider gewechselt und zahlreiche alte Gewänder wieder ausgegraben, die nur noch nostalgisch angehauchten Freunden klerikaler Gewandung bekannt waren. Der Camauro , eine mit Hermelinfell besetzte rote Mütze, die zuletzt Papst Johannes XXIII. getragen hatte, und die aus feinster Moireseide oder Damast gefertigte weiße und rote Mozzetta (im Winter ebenfalls mit Hermelinfell), die zuletzt 1924 in einer Liturgik ausführlich beschrieben wurde, kehrten auf einmal zurück. Auch kostbare antike Messgewänder und Mitren, bei deren Anblick Dorian Gray vor Neid erblasst wäre, bilden nun den optischen Mittelpunkt päpstlicher Liturgien. War es dabei rein zufällig, dass Benedikt 2008 auch ein Messgewand des Medici-Papstes Leo X. bevorzugte, also jenes Papstes, der den rebellischen Martin Luther exkommunizierte?
    Die pontifikale Freude an kostbaren Gewändern greift allmählich auch auf ähnlich veranlagte Bischöfe über, die nun bei öffentlichen Auftritten wieder die von Papst Pius XII. gekürzte, seit Paul VI. ganz außer Gebrauch gekommene Cappa Magna tragen: eine neun Meter lange (!) rote Schleppe aus Moireseide , für die mehrere Träger gebraucht werden.
    Auch andere Accessoires aus längst vergangener Zeit erleben unter diesem Papst eine eigentümliche Renaissance: Der schlichte Sessel sowie das moderne Tragekreuz seiner Vorgänger wurden gegen die Ferula und den prachtvollen Pontifikalthron Papst Pius’ IX. aus dem 19. Jahrhundert ausgetauscht - Accessoires des letzten Papstkönigs im Kirchenstaat, der sich selbst und alle seine Nachfolger gegen größte Widerstände in der Kirche für unfehlbar erklärte und mit

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