Der heilige Schein
vorher nicht gekannter Vehemenz gegen jede Modernisierung der Gesellschaft und den Liberalismus in der Kirche vorging.
Die Medien zeigten sich verwundert, die Traditionalisten begeistert: Der Papst restauriert vor aller Welt eine Ästhetik, die die Piusbrüder und ihr Umfeld seit Jahrzehnten praktizieren. Nur dass es hier in Perfektion geschieht, besitzt der Vatikan doch den größten liturgischen »Kostümfundus« und eine der kunstvollsten religiösen Bühnen der Welt.
Vor diesem Hintergrund scheinen viele im Zusammenhang mit dem Pontifikat Benedikts XVI. gestellte kritische Fragen fast zweitrangig. Wie etwa jene, ob der Papst vor der Rehabilitation Williamsons um dessen Antisemitismus wusste. Oder ob er sich bewusst ist, welch problematische Gruppen er sich durch die großzügige Förderung der alten Liturgie in seine Kirche holt.
Offensichtlich waren es ganz andere Momente, die den Papst motivierten, die Piusbrüder und ähnliche Organisationen in seine Kirche zurückzuholen. Nun hat er freilich das Problem, dass er eigentlich nur einen Tropfen Honig essen wollte und stattdessen ein ganzes Fass Essig auslöffeln muss.
Gefügige Kämpfer für die katholische Tradition
Ein spätsommerlicher Herbsttag im Oktober 1999, sanfte Nebel steigen aus den abgeernteten Feldern der niederbayerischen Tiefebene auf, die Straße schlängelt sich an Fischweihern vorbei durch kleine Dörfer und Wälder. Man fühlt sich wie in einem Gedicht von Erich Kästner über das Landleben.
Ein Jahr nach dem Abschluss meiner Dissertation war ich wieder einmal auf dem Weg in das Priesterseminar der Piusbruderschaft in Zaitzkofen. Diesmal kam ich jedoch nicht mehr als Außenstehender, der nicht weiter als bis zu den liturgischen Kulissen der prachtvoll inszenierten Gottesdienste Vordringen konnte.
Nach meiner scharfen Kritik an Karl Rahner und seiner Schule in verschiedenen wissenschaftlichen Aufsätzen sowie der überschwänglichen Besprechung meiner Doktorarbeit durch einen der Protagonisten der katholischen Traditionalistenbewegung in Deutschland, den Frankfurter Philosophen und Adorno-Schüler Walter Hoeres, in der Deutschen Tagespost hatte mich sehr schnell eine Vortragseinladung von Pater Matthias Gaudron erreicht, dem damaligen Regens der deutschen Kaderschmiede der Piusbrüder.
Um die Zusammenhänge besser zu verstehen: Der 1984 verstorbene Jesuit Karl Rahner gilt als der einflussreichste Theologe des 20. Jahrhunderts. Er ist der eigentliche Wegbereiter und Ideengeber für eine Öffnung der katholischen Theologie zum modernen Denken sowie der gesamten Kirche zu einer liberalen, den Werten der Aufklärung verpflichteten Gesellschaft. Daher verwundert es nicht, dass ihn seine Schüler und Anhänger zum »Kirchenvater der Moderne« erklärt haben und Bedenken bezüglich seiner Theologie als Kritik an einer Modernisierung der Kirche auffassen.
Über diesen bedeutenden Theologen sollte ich also sprechen und den »Mythos um seine Person und Theologie« gründlich, schonungslos, aber auch möglichst leicht verständlich kritisieren. Alle deutschsprachigen Priester der Bruderschaft, die sich regelmäßig im Herbst zu einem Einkehrtag in ihrem ehemaligen Priesterseminar treffen, sollten anwesend sein. Natürlich fühlte ich mich als junger Theologe geschmeichelt, zugleich war ich aber auch sehr gespannt auf den Aufenthalt im Seminar. War das Leben dort wirklich ein Vorgeschmack auf die himmlische Herrlichkeit, wie die schönen Bilder aus den Werbebroschüren der Piusbruderschaft nahelegten?
Hinter einem dicht mit Bäumen und Buschwerk bepflanzten Park tauchte kurz nach der Ortseinfahrt in das kleine Dorf das Schloss aus dem 18. Jahrhundert auf, in dem die Piusbruderschaft ihre Geistlichen ausbildet. Alles wirkte penibel sauber und aufgeräumt, eine tiefe Ruhe, friedliche Idylle verheißend, lag in der Luft. Dreißig Fahrminuten von der Autobahn entfernt, schien die Welt hier noch in Ordnung zu sein.
Vermutlich irritiert von meinem Autofahreroutfit, empfing mich eine Ordensschwester etwas unfreundlich an der Pforte. Erst als ich mich vorstellte, änderte sich die Lage schlagartig, und sie rief den »Hochwürdigen Pater Regens« über das Haustelefon. Im Wartebereich auf einem wackeligen Sessel sitzend, zwischen einer großen, sehr farbigen Herz-Jesu-Statue aus Gips, vor der ein ewiges Licht brannte, und Fotografien des damaligen Papstes sowie Erzbischof Lefebvres, des Gründers der Piusbruderschaft, fühlte ich mich auf einmal, als
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