Der heilige Schein
Euren Angriff vielleicht anders reagieren als ich es tue!?«
Am auffälligsten zeigt sich diese gesteigerte Aggressivität dort, wo man sich unter dem Schutz der Anonymität äußern kann: in erzkatholischen Internetforen, insbesondere bei kreuz.net . Dort wird zum Beispiel direkt zu gewalttätigen Aktionen gegen Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, oder Apotheken, die für Safer Sex Werbung machen, aufgerufen. Internetadressen von unliebsamen modernen Priestern werden veröffentlicht mit der Aufforderung, sie » zuzuspammen « oder bei ihrem Bischof zu denunzieren. Für Befürworterinnen des Frauenpriestertums oder der Legalisierung der Abtreibung, Gegner des Zölibats und Homosexuelle fordert man ganz offen die Hinrichtung - wenn der Staat versage, müsse man solche Dinge eben selbst in die Hand nehmen. Zu diesem Zweck werden dann Adressen von Treffpunkten der Homosexuellenszene oder modernen Pfarrern in den Foren gepostet. Dass im Hinblick auf diese Art von Selbstjustiz der Schulterschluss mit rechtsextremen Gruppen und gewaltbereiten Islamisten gesucht wird, sollte den Verantwortlichen zu denken geben.
Erziehung mit dem Knackfrosch
Natürlich war Pater General Hönisch vom Studienhaus der SJM auch daran interessiert, die Neugeweihten möglichst rasch als Geistliche im Haupteinsatzgebiet des Ordens, der Jugendseelsorge, zu verwenden. Dort sollen die jungen Menschen zu eifrigen und unnachgiebigen Kämpfern für die katholische Sache im Sinne der Traditionalisten ausgebildet werden. Bei den »Servi Jesu et Mariae« besteht die Jugendseelsorge vor allem in der Betreuung der Pfadfinder (Katholische Pfadfinderschaft Europas, KPE) und eines Internates.
Die Piusbruderschaft betreibt mehrere Schulen und Internate. Einige dieser Ausbildungsstätten habe ich persönlich kennengelernt. Mehrere Male besuchte ich zwischen 2000 und 2003 das streng katholische Mädchengymnasium im Bergischen Bröltal bei Schönenberg. Besonders tiefe Einblicke in die Erziehungspraktiken der traditionalistischen Katholiken erhielt ich im Mai 1999 bei einem, knapp einwöchigen Besuch des Internats und des Don-Bosco-Jungengymnasiums der Piusbruderschaft im Wasserschloss des westfälischen Örtchens Wadersloh bei Diestedde.
Ich war mit der Absicht gekommen, ein didaktisches Praktikum zu absolvieren und so eine jener Schulen näher kennenzulernen, auf die die konservativen Katholiken ihre ganze Hoffnung richteten und für deren Erhalt man hohe Summen an Spendengeldern aufbrachte, obwohl sie großenteils staatlich finanziert wurden. Ich wohnte direkt im Internat und hospitierte ausgiebig im Unterricht des privaten Gymnasiums.
Die Schüler hatten einen vollständig durchstrukturierten Tagesablauf: Nach dem Wecken um sechs Uhr morgens vor dem Frühstück eine halbe Stunde heilige Messe, dann eine Viertelstunde Morgengebet. Danach bis zum Schulbeginn Hausputz. Nach Schule und Mittagessen eine Stunde verordnete Rekreation, anschließend Studienzeiten bis 18 Uhr. Dann Gebete bis zum Zubettgehen um spätestens 21.30 Uhr, nur unterbrochen durch ein kurzes Abendessen.
Zu einem Vortrag, den ich im Internat der Don-Bosco-Schule hielt, wurden alle Schüler abgeordnet. Die Jüngeren unter ihnen, für die das gewählte Thema viel zu anspruchsvoll war, langweilten sich offenbar entsetzlich, doch sobald kleinste Störungen aufkamen, genügte ein strenger Blick oder ein Zeichen von Pater Weigl, dem damaligen Leiter der Institution, um für Ruhe zu sorgen.
Die Zeitschrift, die die Piusbruderschaft monatlich kostenlos an Kinder und Jugendliche verteilt, heißt bezeichnenderweise Der Kreuzfahrer und ruft zu einem »eucharistischen Kinderkreuzzug« auf. Mit der martialischen Wortwahl wird an einen Kinderkreuzzug im 13. Jahrhundert erinnert, bei dem Scharen von Kindern und Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich - angeführt von einigen Klerikern - zu einem wahnwitzigen Kriegszug aufbrachen, um das Grab Jesu von den »Ungläubigen« zu befreien. Die Mission scheiterte schnell, und viele der jugendlichen Teilnehmer wurden in Kleinasien in die Sklaverei verkauft.
Disziplin und Gehorsam zählten sicher zu den erreichten Bildungszielen an diesem Gymnasium der Piusbruderschaft im Sauerland. Unterstützt wurden die diesbezüglichen Bemühungen durch das unerbittliche Postulat einer religiösen Drohbotschaft: Im Flur vor meinem Zimmer hing ein großes, auch mich beeindruckendes Bild, das das letzte Weltgericht darstellt, bei dem die bösen Menschen in die Hölle
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