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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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»Initiativkreis katholische Laien und Priester« im Bistum Münster; sowie der in den 50er und 60er Jahren sehr bekannte Kirchenmusiker und Apostolische Protonotar Johannes Overath, der im Vatikan wie auch in der Kölner Kurie großen Einfluss besaß.
    An diesem Auszug aus verschiedenen Gäste- und Vortragslisten wird ersichtlich, wie sich hier Finanzkraft, politisch extrem rechtes Denken und antimoderner Katholizismus vernetzten und eine Art heilige Familie mit kartellähnlichen Strukturen bildeten. Hier wurde über mögliche neue Kandidaten für die »Bewegung« gesprochen, es wurden die Beziehungen der Mitglieder untereinander gefestigt, und natürlich ging es auch um Geld. Und hier wurde der Versuch unternommen, die Deutungshoheit über aktuelle kirchenpolitische Fragen zu erlangen. Später sollte ich am eigenen Leib erfahren, dass manche in diesem Netzwerk auch nicht davor zurückschreckten, subtile Formen der Nötigung zur Normierung eventuell abtrünnig werdender Mitglieder einzusetzen.
    Viele der Gäste zeigten eine ausgeprägte, manchmal fast liebenswürdige Schrulligkeit. So saß mir an einem der Abende in Düsseldorf ein alter Herr gegenüber, der sich immer wieder ein silbernes Monokel vor sein linkes Auge klemmte, durch das er mich beobachtete und das er jedes Mal, wenn ich zurückschaute, wieder aus dem Auge fallen ließ. Ein Frankfurter Philosoph schimpfte hemmungslos über die dauernden musikalischen, viel zu lauten Interventionen während des Abendessens, weil er seinen permanenten Redefluss dadurch einschränken musste. Ein anderes Mal, als ich mit mehreren Herren aus dem Netzwerk vor einer Besprechung in einem Kölner Restaurant zu Mittag aß, bediente uns ein Afrikaner. Einer der Herren, ein Professor, sagte laut: »Er ist wirklich nett, obwohl er ein Neger ist!« Woraufhin alle im Lokal, die den Ausspruch mitbekommen hatten, anfingen zu lachen. Oder der hoch betagte Kirchenmann, den ich gelegentlich in meinem Auto nach Düsseldorf mitnahm und der trotz meines heftigen Widerspruchs hartnäckig darauf bestand, wir hätten uns auf der Beerdigung des Bonner Theologieprofessors Arnold Rademacher im Jahr 1939 kennengelernt.
    Diese Schrulligkeit fand ich oft lustig, aber sie war es auch, die für mich zum Alibi wurde. Später musste ich immer deutlicher erkennen, dass gerade diese Schrulligkeit zum Kalkül vieler konservativer Kreise gehört. Selbst hohe Kirchenfürsten spiegeln bei Bedarf gelegentlich Naivität und Ahnungslosigkeit vor. Zur endgültigen Gewissheit wurde mir das zunächst nur Vermutete, als Papst Benedikt XVI. im Zusammenhang mit der Rehabilitation des Piusbruders Williamson verlauten ließ, man habe (ausgestattet mit einem der effizientesten »Geheimdienste« der Welt!) von dessen krassem Antisemitismus gar nichts gewusst, da man im Vatikan das Internet nicht so oft benutze. Der Heilige Stuhl gelobe aber Besserung und wolle dieses neue Medium vor seinen Entscheidungen zukünftig öfter zu Rate ziehen.
    Die beschriebene Schrulligkeit diente mir immer wieder als Vorwand zur Ruhigstellung meines sich sporadisch regenden Gewissens, das gegen den politischen und menschenverachtenden Radikalismus revoltierte, der hier propagiert wurde. Mit dieser scheinbaren Naivität entschuldigte ich meine katholischen Kampfgefährten vor mir selbst: »Wirklich bösartig sind die doch nicht, einfach nur ein bisschen komisch, oder eben mit den Worten der Bibel >nicht von dieser Welt<.«

In die Ecke stellen und schämen
    Die Gespräche bei den Herrenabenden drehten sich um die verschiedensten Themen. So tauschte man sich beispielsweise genüsslich über das Privatleben von Bischöfen aus, die nicht dem rechten Spektrum zuzuordnen waren. Über Verhältnisse zu Sekretärinnen und Sekretären oder Alkoholprobleme redete man mit einer Mischung aus Entsetzen und Genugtuung. Die ökumenischen und interreligiösen Initiativen Papst Johannes Pauls II. waren Anlass für heftigste Papstschelte, die zudem - bei den vielen kämpferischen Heimatvertriebenen, die immer anwesend waren, nicht verwunderlich - häufig mit dem Hinweis auf seine polnische Herkunft garniert wurde. Auch der Spruch, man habe großes Verständnis für die Sedisvakantisten , die bezweifelten, dass ein progressiver Papst überhaupt noch wirklich Papst sei, machte eifrig die Runde. Er kam sogar von geistlichen Herren, die sich sonst gerne mit päpstlichen Ehrentiteln schmückten. Und dann immer wieder die Klagen über die politische und

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