Der heilige Schein
gesellschaftliche Lage. Die großen Medien seien ausnahmslos links und von Homosexuellen unterwandert. Die CDU sei für einen aufrechten Deutschen und Katholiken nicht mehr wählbar, weil sie zu einer halbsozialistischen Abtreibungs-, Emanzen- und Homo-Partei geworden sei.
Die homophoben Äußerungen sind mir natürlich besonders gut in Erinnerung geblieben. An erster Stelle stand da die Angst vor der Unterwanderung der Kirche durch Netzwerke von homosexuellen Priestern. Eine Phobie, der ich auch in anderen konservativen Gesprächsrunden immer wieder begegnete. So etwa bei einem Mittagessen, zu dem der Herausgeber der Kirchlichen Umschau seine Mitarbeiter geladen hatte. Anwesend war auch ein Autor, der sich als » Vatikanist « bezeichnet und über Geschichte und Organisation des Vatikanstaates schreibt. Er erzählte blumig von seinem Aufenthalt im Priesterseminar des Päpstlichen Nordamerika-Kollegs in Rom. Dort habe er so viele ihre Sexualität offen auslebende Homosexuelle angetroffen, dass er aus Angst vor Übergriffen nicht wie geplant im Seminar übernachtet habe, sondern noch spät in der Nacht geflohen sei. Ohne konkrete Anhaltspunkte galt in all diesen Gesprächen als ausgemachte Wahrheit, dass die »gefährlichen schwulen Geheimkreise«, die bis in den Vatikan hineinreichten, gezielt versuchten, die Kirche in einen »Homosexuellenverein« zu verwandeln. Die »laschen« Aussagen des neuen Katechismus der Katholischen Kirche zur Homosexualität, die auf das Konto des Wiener Kardinals Schönborn gingen (ironisches Lächeln), seien ein wichtiger Etappensieg dieser »unappetitlichen Parasiten«.
Wie sehr sich diese Phobie vor einer homosexuellen Geheimverschwörung, die auch von der Politik nicht selten als Vorwand für die Verfolgung Homosexueller benutzt wurde, auch in der offiziellen Amtskirche durchgesetzt hat, zeigt die von Klaus Küng, dem Bischof von St. Pölten und Opus-Dei-Mitglied, immer wieder vorgetragene diesbezügliche Besorgnis. In einem Interview mit der katholischen Zeitung Tagespost vom 23. Mai 2010 wird der Bischof auf die im Klerus umgehende Angst vor der Verschwörung durch homosexuelle Netzwerke in der Kirche angesprochen. Darauf antwortet er: »Wenn in einem Seminar, in einem Kloster solche Netzwerke entstehen, kann das zu einer großen Bedrohung für das Seminar, für das Kloster, für eine Diözese werden, weil sich eine Atmosphäre bildet, die ganz bestimmte Personen anzieht, andere dagegen abstößt zum großen Schaden der Seelsorge. Seminare und Klöster können dadurch geradezu existenziell bedroht werden.« Sollte ein Bischof so etwas bemerken, müsse er zu einer »radikalen Lösung« greifen, z.B. der Schließung des Seminars. [22] Warum es jemanden »abstoßen« sollte, wenn er in einer Gemeinschaft lebt, in der es auch mehrere Homosexuelle gibt, erklärt Küng nicht. Das setzt er anscheinend als selbstverständlich voraus.
In den erzkatholischen Netzwerken, zu denen ich Kontakt hatte, wurde immer wieder behauptet, letztes Ziel dieser geheimen Verschwörungen sei die Errichtung einer modernistischen, protestantisierten Kirche. Da ich damals schon viele homosexuelle Priester kannte und wusste, dass die meisten von ihnen eher konservativ waren und nichts weniger wünschten als eine Protestantisierung des Gottesdienstes, konnte ich mir in solchen Situationen ein leises Lachen nicht verkneifen.
Das Lachen sollte mir aber bald vergehen. Man echauffierte sich nämlich nicht nur über klerikale Homosexualität, sondern zeigte sich noch viel entsetzter über die »Zurschaustellung dieser gotteslästerlichen Perversionen« auf den Christopher-Street-Tagen. Das eigentlich himmelschreiend Schlimme an der heutigen Situation sei nicht so sehr; dass es so etwas wie homosexuelle Tendenzen gebe, sondern dass man die »Homo-Unzucht« in aller Öffentlichkeit zelebriere, bereits Kindern und Jugendlichen in der Schule als »normal« darstelle und sie sogar noch staatlich fördere. Insgesamt sei dies auch Ausdruck einer immer weiter voranschreitenden »Verweiblichung« der Gesellschaft.
Was in den Beichtstuhl gehöre, werde in nicht zu überbietender Geschmacklosigkeit in die Öffentlichkeit getragen, meinte dazu ein Münsteraner Studiendirektor. Nachdem die 68er-Revolution alle Schranken niedergerissen habe, sei nun selbst im Hinblick auf die Homosexualität keine Spur von Scham mehr zu erkennen.
»Statt sich in eine Ecke zu stellen, sich zu schämen und ganz einfach die Fresse zu halten,
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