Der heilige Schein
konnte. Das Subjekt, der Theologe selbst und sein Privatleben, bleiben im Thomismus völlig ausgeblendet. Typisch dafür ist der thomistische Grundsatz: »Die Sache muss sprechen, nicht die Person.«
In einem durch eine derartige Prämisse strukturierten System kann man als homosexueller katholischer Theologe ohne Probleme denkerisch heimisch werden, ohne sich als Schwuler zurücknehmen zu müssen - und umgekehrt. So findet hier das Doppelleben vieler schwuler Theologen gewissermaßen seine mit höchsten Weihen ausgestattete programmatische Verankerung.
Da wären dann nur noch die unzweideutigen Aussagen des Thomas zur »Sünde Sodoms «, wie er in typisch mittelalterlicher Sprache die Homosexualität nennt. Je mehr man sich selbst als Thomist versteht und auch so von anderen tituliert wird, desto mehr Gedanken macht man sich natürlich über diesen Widerspruch.
Aber auch hierfür findet sich eine mit dem klassischen Thomismus vereinbare Erklärung: Man muss, wie bei allen großen religiösen Schriften, im Denken des Thomas zwischen den substantiellen Leitmotiven und Nachrangigem unterscheiden. Wie es bei einem Haus tragende Grundmauern und Fundamente gibt, die man nicht einfach einreißen kann, ohne das gesamte Gebäude zum Einsturz zu bringen, so gibt es auch im Denkgebäude des Thomas Grundvorstellungen, die fundamental sind. Zumeist beziehen sich diese einerseits auf strukturelle Eigenschaften des Denkens, z.B. die Zuordnung von Natur und Übernatur, von Philosophie und Theologie, Staat und Kirche, andererseits auf sein Bestreben, den Glauben mit der aktuellen Wissenschaft und dem profanen Denken in ein Gespräch zu bringen. Gerade in dieser Dialogbereitschaft erweist er sich für seine Zeit als revolutionär und originell und auch für unsere Zeit noch als aktuell.
Auf der anderen Seite steht das, was nachrangig ist. Es versteht sich von selbst, dass Thomas das Gespräch mit der Wissenschaft seiner Zeit führt und daher zu Schlussfolgerungen kommt, die auf das Konto der Irrtümer der damaligen Naturwissenschaften und des gesellschaftlichen Reglements gehen. Hier offenbart sich der wichtigste Denker der katholischen Kirche ganz als Kind seiner Zeit, des Hochmittelalters, sein Denken als geschichtlich bedingt und damit wandelbar.
Die so zustande gekommenen Theorien und deren juristische Konsequenzen sind für Thomas allerdings nur sekundär, und nie wäre er auf die Idee gekommen, ihnen überzeitliche Bedeutung zuzusprechen. Manches hat heute keinerlei Aktualität mehr Auch die treuesten Thomasschüler werden heute nicht mehr wie Thomas behaupten wollen, die Frau sei lediglich ein missglückter Mann, der entstehe, wenn zum Zeitpunkt der Zeugung feuchtwarmes Wetter herrsche, weil dieses Klima das Sperma des Mannes schwäche. Dass sich die katholische Kirche dennoch in manchen Punkten, besonders jenen, die die Sexualität und die Rolle der Frau in der Kirche betreffen, krampfhaft an den daraus entstandenen Schlussfolgerungen festhält, steht auf einem anderen Blatt.
Gerade im Bereich der Anthropologie und damit auch der Moraltheologie ließe sich ein ganzes Buch mit ähnlichen Thesen Thomas von Aquins zusammenstellen, die für uns heute nur noch abstrus klingen, damals aber den neuesten Stand der Wissenschaft Wiedergaben. Thomas’ Vorstellungen zur Homosexualität - und zur Todesstrafe als angemessene Antwort darauf - wird man ebenfalls hier, beim Nachrangig-Zeitbedingten, einordnen müssen. Vor diesem Hintergrund wird es einsichtig, dass man denkerisch durchaus Thomist und zugleich schwul sein kann.
Gut frisiert für den Thomismus kämpfen
In die Zeit der Arbeit an meinem ersten größeren Thomas- Buch um das Jahr 2000 herum fällt auch ein Treffen mit dem damaligen vatikanischen Diplomaten und Professor Monsignore Rudolf Michael Schmitz. Ich hatte ihn auf einer theologischen Konferenz im Tagungshaus der Kölner Opus-Dei-Gemeinde St. Pantaleon, an der wir beide als Referenten teilnahmen, persönlich kennengelernt.
Der von Kardinal Ratzinger in Rom zum Priester geweihte Rheinländer Schmitz war nur einige Jahre älter als ich, hatte nach seinem Studium an der Päpstlichen Universität Gregoriana aber schon im Vatikan Karriere gemacht und dabei eine Fülle kirchlicher Ehrentitel gesammelt. »Attaché an einer Päpstlichen Nuntiatur« irgendwo im Osten Europas, »Cappellano di Sua Santità« (Päpstlicher Ehrenkaplan ), »Kaplan des Souveränen Malteser-Ritterordens« und »Professor der Päpstlichen
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