Der heilige Schein
funktionierenden Schreibmaschinen, teilweise auch handschriftlich abgefasst waren. In den allermeisten Fällen zeichneten sich die Texte durch traditionalistischen Fanatismus (angereichert mit völlig überzogenen Aussagen von Piusbruderschaft, TFP oder anderen konservativen Vereinigungen) auf der einen Seite und das weitgehende Fehlen einer nachvollziehbaren Gedankenführung und sprachlicher Klarheit auf der anderen Seite aus. Mit ungeheurer Energie bemühten sich die Briefeschreiber darum, ihre Überlegungen in Theologisches gedruckt zu sehen. Von einem in München lebenden pensionierten Assessor der Jurisprudenz finden sich in diesem Ordner allein fünfunddreißig Briefe.
Der erste Brief solch potentieller Autoren, dem der angebotene Artikel beigelegt war, erging sich meist in überschwänglichem Lob, teilweise flankiert durch die Ankündigung größerer Spenden an die Fördergemeinschaft für den Fall der Veröffentlichung. Der meiner Ablehnung folgende Brief beinhaltete dann meist die verschiedensten Drohungen - wobei jene, die Zeitschrift abzubestellen, noch die harmloseste war - oder auch Beschwerden über das viel zu wissenschaftliche oder zu modernistische Niveau der Zeitschrift. »Wenn Sie meinen Artikel im Theologischen nicht bringen wollen, dann ist das doch ein Beweis, das [!] Sie theologische Sachverhalte nicht auf meinem Niveau vermitteln wollen. Dies kann es in der katholischen Religion nicht geben, denn sie ist keine Religion für Akademiker. Und die ist dann auch nicht mehr katholisch für das Gottesvolk da ... Deswegen ich sie auch abbestellen werde. Ich bedauere Ihre Kompetenzlosigkeit!« Der schon häufiger konstatierte willkürliche Subjektivismus gerade bei den Kämpfern gegen jeden Subjektivismus feierte hier also fröhliche Urständ .
Der dritte Schritt war dann zumeist, dass die Briefeschreiber sich an Mitglieder des Netzwerkes oder der Fördergemeinschaft, an Autoren von Theologisches oder an die Glaubenskongregation in Rom wandten und sich dort über meine angebliche Glaubenslosigkeit und fehlende Eignung, die Zeitschrift herauszugeben, beschwerten. Der genannte Assessor aus München hatte mit dieser Methode sogar einmal insofern Erfolg, als er jemanden fand, der sich ihm wegen seines Einsatzes für die Erscheinungen von Heroldsbach offenbar geistig verwandt fühlte. Zu meiner ablehnenden Haltung bezüglich einer Veröffentlichung seiner Beiträge schrieb der emeritierte Professor für Pädagogik an der Universität Bamberg an den Assessor, was dieser wiederum in einem seiner Briefe an mich zitierte: »In nächtlichen schlaflosen Stunden fühle und durchdenke ich häufig in einem glasklaren Denken die frevlerische Herausforderung Gottes durch zunehmend mehr Menschen, die stolz im Schlamm der Sünde waten. Mir wird Angst dabei und es tut mir leid, dass Ihre Aufsätze nicht positiv beantwortet wurden.«
Aus der Tatsache, dass ich einen völlig unzulänglichen Artikel nicht veröffentlichte, schloss der Emeritus messerscharf, dass ich ein Frevler sei, der sich »im Schlamm der Sünde« suhlt ... Diese Reaktion ist durchaus beispielhaft für den Umgang mit abweichenden Positionen: Vertritt ein Theologe eine andere Haltung, sucht man die Ursache dafür in seiner persönlichen Sündhaftigkeit. Er denkt nicht so wie wir, also muss er ein schwerer Sünder sein!
Einer der Beschwerdeführer, ein in Frankreich lebender Mediziner, ging noch einen Schritt weiter: Er strengte beim Amtsgericht in Köln einen Prozess gegen mich an, mit dem er eine Publikation seines Artikels, der die Evolutionstheorie widerlegen sollte, gerichtlich erzwingen wollte. Auch kündigte er an, vor Gericht den Beweis zu führen, dass ich für die Herausgabe der Zeitschrift moralisch ungeeignet sei. Einen Auftritt des Beschwerdeführers konnten die Richter allerdings abwenden, indem sie die Klage ablehnten. Damit war für den Mediziner die Sache allerdings nicht abgeschlossen, und er führte seinen Kampf gegen mich und gegen die Evolutionslehre im Internet fort.
Die nächste Gruppe von Briefeschreibern schickte mir lange Abhandlungen, in denen sie sehr selbstsicher behaupteten, übernatürliche Visionen und Auditionen gehabt zu haben. Einer Frau war die Jungfrau Maria im Messgewand eines Priesters zusammen mit dem stigmatisierten Vater von Erzbischof Lefebvre erschienen und hatte ihr Botschaften zur schlimmen Lage der Kirche und deren Unterwanderung durch jüdische Freimaurer übermittelt, die sie nun zu publizieren
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