Der heilige Schein
kleinere Gruppe von Lesern beklagte sich über das Fehlen politischer Beiträge in der nun von mir edierten Zeitschrift. Meine Recherchen ergaben, dass diese Beschwerden ausnahmslos von aktiven Mitgliedern der NPD, der radikalen Lebensrechtsbewegung oder von Priestern aus dem Umkreis der Heimatvertriebenen kamen. Hier zeigt sich wieder einmal, wie viele Verbindungen es zwischen politisch und religiös radikalen Gruppierungen inzwischen auch in Deutschland gibt.
In vielen Fällen war es so, dass die Protestbriefe samt Drohung, die Zeitschrift abzubestellen, in Kopie auch an Mitglieder der Fördergemeinschaft und an alle möglichen anderen Persönlichkeiten aus dem konservativ-katholischen Milieu gingen, häufig auch nach Rom an die Glaubenskongregation. Die Tatsache, dass es Beschwerden über mich gegeben hatte, wurde dann in Diskussionen, in denen man mich auf den alten Kurs der Zeitschrift einschwören wollte, hauptsächlich von jenen Mitgliedern der Fördergemeinschaft ins Feld geführt, deren Denken sich in ähnlich konservativen Bahnen bewegte. Dass die tatsächlich erfolgten Abbestellungen kontinuierlich durch Neuabonnenten ausgeglichen werden konnten, machte diese Argumentation allerdings unbrauchbar, so dass man sich etwas Neues überlegen musste. Ich werde noch zeigen, dass man diesbezüglich schnell fündig wurde.
In das skizzierte Spektrum des reaktionären Katholizismus gehört eine Initiative des Veranstalters der Düsseldorfer Herrenabende. Er hatte Anfang 2004 privat einen Hörsaal an der Universität Bamberg angemietet und dort ein Symposium zu seinem Lieblingsthema, den »Marienerscheinungen« von Heroldsbach, veranstaltet. Bewusst sollte der Schein einer gewissen Wissenschaftlichkeit erweckt werden, die freilich nicht gegeben war. Als Referenten waren aus dem Kreis der Herrenabende theologisch nicht versierte, dafür aber umso kämpferischere Befürworter der Echtheit der Erscheinungen geladen, die sich vor einem verschwindend kleinen Häuflein von Zuhörern gegenseitig bestätigten, wovon sie ohnehin überzeugt waren.
Um nun dieser Überzeugung doch noch eine gewisse Öffentlichkeitswirkung zu verschaffen, wurde ich aufs Heftigste bedrängt, ein Sonderheft der Zeitschrift zu dem Symposium zu machen. Das ging mir aber entschieden zu weit. Und nicht nur mir. So kritisierte der Vorsitzende der Fördergemeinschaft in einem Brief an mich, der Veranstalter der Herrenabende versuche, »die Zeitschrift für sein privates Engagement (Hobby) zu nutzen und Druck auszuüben«. Allerdings war der nun unangenehm werdende Herr eine wichtige finanzielle Ressource. Man bat mich, »wirklich alles in Kauf zu nehmen, was dem Ansehen der Zeitschrift nicht schadet«.
So erschien also ein Sonderheft zum Thema »Marienerscheinungen«. Es fiel allerdings ganz anders aus als von den katholischen Esoterikern erwartet, denn es kamen auch Stimmen zu Wort, die sich zu dem bei Traditionalisten so beliebten Heroldsbachphänomen und grundsätzlich zu dem in traditionell katholischen Kreisen verbreiteten Hang zu marianischem Aberglauben auch kritisch äußerten.
Tatsächlich ist die Zahl der angeblichen Marienerscheinungen in den letzten Jahrzehnten geradezu sprunghaft angestiegen. Schon 1991 stellte die Times fest, dass sich mit der zunehmenden Rückwendung der katholischen Kirche zum Konservativismus deren Zahl alle zwei Jahre etwa verdoppele. Wobei das kirchliche Lehramt sich wegen des großen Andrangs zu den Wallfahrtsorten — und weil die Botschaften dieser Erscheinungen gut in das gegenwärtige kirchenpolitische Konzept passen - immer mehr von der genauen wissenschaftlichen Untersuchung der Phänomene zurückzieht und die Volksfrömmigkeit wild wuchern lässt. Im Jahr 2000 schrieb Joseph Ratzinger in seinem Kommentar zur Enthüllung des dritten Geheimnisses von Fatima begeistert, Volksfrömmigkeit bedeute, »dass der Glaube im Herzen der einzelnen Völker Wurzeln schlägt, so dass er in die Welt des Alltags hineingetragen wird. Die Volksfrömmigkeit ist die erste und grundlegende Weise von > Inkulturation < des Glaubens« - ja, er gesteht der Volksfrömmigkeit sogar zu, sein Allerheiligstes, die Liturgie, zu »befruchten«. [39] Hier zeigt sich, was Benedikt im Blick hat, wenn er von » Inkulturation « des Glaubens spricht. Gemeint ist nicht die Kultur Europas, die auf den Grundgefühlen und Werten des aufgeklärten Menschen basiert, sondern die Kultur esoterischer konservativer Spökenkieker-Gruppierungen innerhalb der
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