Der heilige Schein
Kirche.
In meinem Editorial zum Sonderheft schrieb ich dazu: »Auch unter der Gefahr, sich den Vorwurf einer Nestbeschmutzerei einzuhandeln, muss man feststellen, dass seit vielen Jahren gerade unter den traditionsverbundenen Katholiken die Tendenz, sich bestimmten Marienerscheinungen und Privatoffenbarungen zuzuwenden, immer stärker wird. Nicht selten ersetzt diese spezielle Frömmigkeit dann tatsächlich die anstrengende intellektuelle Auseinandersetzung.« [40]
Dass ich hier unter anderem auf unseren großen Finanzier anspielte, erkannte auch er; und dass er sich darüber aufregen würde, war mir klar gewesen. Ich hatte gehofft, er würde vielleicht unter Protest die Fördergemeinschaft verlassen, was aber erst später geschah. Vorerst waren diejenigen, die sich von mir kritisiert fühlten, fest entschlossen, den Kampf gegen meine Herausgeberschaft aufzunehmen. Im nächsten Kapitel werde ich zeigen, in welcher Weise dies geschah.
Erstaunt war ich freilich, dass auch der damalige Erzbischof von Bamberg (in dessen Verwaltungsbereich die kirchlich nicht anerkannten Erscheinungen fielen) und ehemalige Großkanzler der katholischen Universität Eichstätt, Karl Braun, heftigsten Protest einlegte. Als »langjähriger Bezieher und Förderer« der Zeitschrift kündigte er in einem Brief das Abonnement zum »nächstmöglichen Zeitpunkt«, was von den Heroldsbachjüngern als gerechte Strafe gefeiert wurde. Das klare lehramtliche Nein zur Echtheit der Erscheinungen von Heroldsbach, das er nach außen in der Diözese vertrat, entsprach offensichtlich nicht seinem eigentlichen Denken. Nur um des heiligen Scheins willen stellte er sich nicht gegen die kirchenoffizielle Lesart.
Karl Rahner und seine Schüler
Ich war also in einer verzwickten Lage: Einerseits wollte ich der Zeitschrift ein Niveau und eine Ernsthaftigkeit zurückgeben, mit denen sie auch in der akademischen Welt erneut Gehör finden konnte. Andererseits saßen mir Marienerscheinungsfanatiker und andere Sonderlinge im Nacken, die die Zeitschrift als Sammelplatz für stramm antimodemistische Polemik, vermischt mit rechtsradikalen politischen Optionen, missbrauchen wollten, womit sie das ganze Unternehmen der Lächerlichkeit preisgegeben hätten.
In dieser Situation kam das Rahnerjahr 2004, in dem weltweit des hundertsten Geburtstags des bekannten Jesuitentheologen gedacht wurde, wie gerufen. Ich sah darin eine Möglichkeit, mich aus meiner verzwickten Lage zu befreien. Von seinen Schülern, unter ihnen auch der deutsche Kardinal Lehmann, war Rahner in der nachkonziliaren Zeit zum Kirchenvater einer erneuerten, weltoffenen Kirche ausgerufen worden. Auch wenn ich damals nur die Grenzen und Probleme dieses neuen theologischen Konzepts sehen wollte, lagen in seinem mit dem Namen »anthropozentrische Wende der Theologie« umschriebenen Denken tatsächlich die Grundlagen für jenes » aggiornamento « ( Verheutigung ), mit dem die Konzilspäpste ihre Kirche zu einer gesprächsbereiten, offenen Gemeinschaft der Glaubenden machen wollten. Einer Gemeinschaft, die den Adressaten, also den in der jeweiligen Zeit lebenden Gläubigen, und nicht das anscheinend unveränderliche Dogma in den Mittelpunkt ihrer pastoralen Bemühungen stellt. Einer Gemeinschaft, die überdies in jedem Menschen zunächst ein von Gott in Gnade angenommenes und daher gutes Geschöpf sieht und dann erst seinen Hang zur Sünde und zum Versagen, Dass mit dieser optimistischen Wende hin zu den Bedürfnissen der Menschen von heute die Fundamente des traditionell katholischen Milieus eingerissen wurden, war kaum zu übersehen. Denn wie sehr dieses Milieu sein ganzes Handeln auf einer pessimistischen Sicht des Menschen aufbaut, ist bereits deutlich geworden.
Auch an den Kulissen einer ganz den Duft der Heiligkeit atmenden Kirche rüttelte der Jesuit damals heftig. Der bereits erwähnte Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller erinnert sich an ein persönliches Zusammentreffen mit Rahner: »Als 21-Jähriger traf ich den Theologen Karl Rahner. Wir sprachen damals auch über die Kirche. Er erwähnte die > ecclesia semper reformanda <, die Kirche, die sich ständig in einem Erneuerungsprozess befindet und befinden muss. Er sprach von der Kirche, die immer auch schäbig und sündig ist. Ich habe das nie vergessen.« [41]
Daher war die harte Rahnerkritik, die ich in meiner Dissertation - ausgehend von den Bedenken Joseph Ratzingers vorgelegt hatte, gerade in konservativen Kreisen besonders gut
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