Der heilige Schein
angekommen. Man begrüßte mein Bemühen, in Rahners Theologie eine gefährliche Nivellierung des spezifisch Christlichen auszumachen. Diese Nivellierung wirke sich auf die gesamte Theologie und die Kirchenpolitik aus, die sich nach der Rahner’schen Wende nur noch für den Menschen und nicht mehr ausreichend für Gott, das Übernatürliche und die Heilige Schrift interessierten.
Zugleich fasste man meine Rahnerschelte auch als Kritik an seinem prominentesten Schüler auf, dem Mainzer Kardinal Karl Lehmann, der damals Vorsitzender der Bischofskonferenz war. Lehmann war den Konservativen aufgrund seiner versöhnlichen Haltung nicht nur Rom, sondern auch den fortschrittlich orientierten Gläubigen in Deutschland gegenüber ein Stachel im Fleisch. Der neokonservative Bischof einer deutschsprachigen Diözese fällte mir gegenüber das harsche Urteil, Lehmann sei der Hauptverantwortliche für die moralische und theologische Desorientierung der Kirche in Deutschland.
Nun plante ich, meine Kritik - inmitten all der positiven Würdigungen zum Rahnerjahr - in größerem Umfang, allgemeinverständlicher und mit vielen Fremdbeiträgen im Rahmen der Zeitschrift Theologisches neu aufzulegen. Das Geld dafür wurde von der Fördergemeinschaft bereitwillig zur Verfügung gestellt, und ich konnte sämtliche Rahnerkritiker von Rang und Namen als Mitarbeiter für den Sammelband mit dem Titel Karl Rahner. Kritische Annäherungen gewinnen, der schließlich etwa fünfhundert eng bedruckte Seiten umfasste. Er wurde kostenlos an die deutschsprachigen Bischöfe, an Bischöfe in den USA, an verschiedene vatikanische Behörden sowie die Nuntiatur geschickt.
Der kostenlose Versand solcher Bücher, hinter denen meist potente Geldgeber stecken, ist eine gängige Praxis im katholisch-konservativen Milieu. So möchte man bei den ins Konzept passenden Publikationen hohe Auflagen- und Absatzzahlen erreichen, um damit wiederum entsprechenden Druck auf kirchliche Entscheidungsträger auszuüben.
So sorgte das Buch dann auch für Furore. Viele der kostenlos Bedachten bedankten sich persönlich bei mir als Herausgeber und lobten das Unternehmen ausdrücklich. Auf der anderen Seite zeigten sich viele Rezensenten aber auch besonders gereizt durch meine beiden Beiträge, mit denen ich die Aufsatzsammlung eingeleitet und abgeschlossen hatte.
Lese ich diese beiden Texte heute, so springt mir eine deutliche Akzentverschiebung zwischen meiner Rahnerkritik der frühen Jahre (1998-2000) und diesen Aufsätzen aus dem Jahr 2004 ins Auge. Während ich in meinen ersten Rahnerinterpretationen noch sachlich und ruhig geblieben war, zeigte sich jetzt ein neuer Stil voller Polemik, typisch für die Argumentationsweise extrem konservativer Theologen: Rahner, der progressistischen Katholiken als Kirchenvater der Moderne gilt, wurde von mir kurzerhand zum Ketzer erklärt, dessen Denken nur Verderbnis in die Kirche bringe.
Bezeichnend scheint mir in diesem Zusammenhang die »Argumentation« mit dem Privatleben Rahners. Nach dessen Tod im Jahr 1984 hatte die Schriftstellerin Luise Rinser Briefe publiziert, die sie über Jahre an den Jesuitentheologen geschrieben hatte und aus denen hervorgeht, dass dieser offensichtlich über einen langen Zeitraum in sie verliebt war und dessen Mutter sie »um die nötige Distanz« bat; eine Bitte, die der Jesuitenorden in ähnlicher Weise auch an Pater Rahner herantrug. Obgleich die ganze Sache allem Anschein nach vergleichsweise harmlos war, echauffierte ich mich in meinem einleitenden Buchbeitrag mit dem Titel Karl Rahner - Kirchenlehrer des 20. Jahrhunderts? ganz gehörig über sie. Ich wusste dabei gerade jene Katholiken hinter mir, die meine Akzentverschiebung bei Theologisches kritisierten. Mich auf eine ähnliche These des Dogmatikprofessors Johannes Stöhr stützend, der nicht nur mein Nachbar war, sondern auch bei Theologisches eine Schlüsselrolle spielte, argumentierte ich, durch die Rinser-Geschichte habe Rahner jedes theologische Ansehen verspielt.
Ähnlich hart ging ich in diesen Jahren auch mit Rahnerschülern ins Gericht, für die ich inzwischen zu einem roten Tuch geworden war und die fest entschlossen waren, Rahners Renommee zu verteidigen. Einer von ihnen, der weit über siebzig Jahre alte Münsteraner Theologieprofessor und Priester Herbert Vorgrimler, lieferte mir dazu ein knappes Jahr später eine Steilvorlage: In seiner 2006 erschienenen Autobiographie Theologie ist Biographie verzichtete er auf jegliche
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