Der heilige Schein
klerikale Scheinheiligkeit und erzählte offen von seinem jahrelangen Zusammenleben mit der »sportlichen Sigrid Loersch «. Dabei verschwieg er auch nicht, dass dieses Verhältnis seinen kirchlichen Vorgesetzten bekannt gewesen sei und ihm sein konsequent selbstbewusstes und ehrliches Auftreten geholfen habe, mit den Kirchenoberen in gutem Einvernehmen zu leben. In den klerikalen Kreisen, in denen man solche Dinge sonst ängstlich als Geheimnis hütet, scheint ihm diese fast brutale Offenheit teils sogar echten Respekt eingebracht zu haben.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich fühlte, als ich die Autobiographie Vorgrimlers las. Die Ehrlichkeit, mit der er von sich selbst und seinem Zusammenleben mit Sigrid erzählte, wühlte mich auf und machte mich gleichzeitig unglaublich wütend. Entsprechend negativ fiel die Buchbesprechung in Theologisches aus: Es war eine polemische Abrechnung mit der Ehrlichkeit und »sensationslüsternen Offenheit« Vorgrimlers und derer, die mit ihm zu tun hatten. Ich sah darin den Ausdruck einer Theologie, die sich von einem philosophischen und emotionalen Subjektivismus bestimmen lässt, und plädierte energisch für das »Gebot der Diskretion« als Ausdruck der traditionellen Theologie, die sich ganz der Objektivität verpflichtet weiß, in der sich der Theologe als Mensch unsichtbar macht.
Damals hatte ich die Feigenblatttaktik des schönen Scheins offensichtlich so tief verinnerlicht, dass ich bereit sie apologetisch in aller Öffentlichkeit zu verteidigen. Dass Rahnerschüler mir »Ketzerjagd auf niedrigem Niveau« [42] vorwarfen, wundert mich heute nicht. Auch denen, die nicht unbedingt als Sympathisanten Rahners und Vorgrimlers galten, fiel mein Ton unangenehm auf. So sah man sich etwa gezwungen, eine geplante Einladung zu einem Vortrag im Düsseldorfer Konvent der Dominikaner aus Angst vor Unruhe in den eigenen Reihen zurückzuziehen.
Aus dem traditionell katholischen Milieu dagegen, angefangen von Universitätsprofessoren aus aller Welt bis hin zu kirchlichen Würdenträgern, erntete ich für meine polemische Rahnerkritik ebenso wie für die Besprechung der Autobiographie Vorgrimlers höchstes Lob. Auch in den Reihen der Fördergemeinschaft führten diese in das Lager des modernen Katholizismus geschossenen Verdikte dazu, dass man über meine sonst angeblich zu ausgeprägte Wissenschaftsgebundenheit, meine Skepsis bezüglich übernatürlichen Phänomenen sowie meine Ablehnung der Propaganda für eine extrem rechte Politik fortan hinwegsah.
Diese, wie ich damals dachte, allein dem Lagerdenken in der katholischen Kirche geschuldete Verteilung von Lob und Kritik bestärkte mich in meinem bisherigen Vorgehen und führte dazu, dass ich die Kritik an meiner Kritik einfach nach dem Motto »Ein getroffener Hund bellt« abtat.
Eine langsame Veränderung der Einschätzung meines eigenen Handelns setzte erst ein, als mich auch gute Freunde, die sich kaum für die innertheologischen und -kirchlichen Grabenkämpfe interessierten, immer wieder fragten: Wieso diese überbordende Polemik? Wieso verurteilen gerade konservative Theologen bei Vorgrimler und Rahner mit einer solchen Vehemenz etwas, das sie allzu oft in ähnlicher; aus amtskirchlicher Sicht sogar noch verwerflicherer Form doch auch praktizieren? Warum habt ihr solche Probleme mit der Offenheit dieser Theologen?
Da mir in der Zwischenzeit aufgefallen war, dass die meisten schwulen Theologen und Priester, die ich kannte, ebenfalls eine sehr konservative Theologie vertraten, ließen mich diese Fragen nicht mehr los. In Gesprächen mit Freunden wurden mir zwei Dinge zunächst nur schemenhaft, im Laufe der Jahre aber immer deutlicher bewusst.
Zum einen steckt hinter dieser vermeintlich besonders papsttreuen Theologie eine ganz bestimmte Form von schlechtem Gewissen: Weil sie schwul sind und es ihnen nicht gelingt, sich den kirchlichen Vorstellungen eines auf jede Sexualität verzichtenden Lebens zu beugen, wollen diese Priester und Theologen ihre »Untat« auf einer anderen Ebene wiedergutmachen. Verstärkt wurde dieses Gefühl in meinem Fall noch dadurch, dass ich der lange verspürten Berufung zum Priestertum nicht nachgekommen war. Die Vehemenz, mit der sie erzkatholische Positionen verfechten, lenkt viele zudem erfolgreich von der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und mit der Haltung der katholischen Moraltheologie zur Homosexualität ab.
Das Päpstlicher-als-der-Papst-Sein erfüllt innerhalb des
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