Der heilige Schein
zwielichtigen Gegenden, die von Prostitution geprägt sind. Einem solchen Milieu stand ich allerdings nie nahe.
Dennoch stießen die »Enthüllungen« von kreuz.net vielerorts auf offene Ohren. Nicht nur, dass ich Mails von allen möglichen konservativen Katholiken erhielt, die mich baten, die Vorwürfe schnellstmöglich zu dementieren. Sie hätten mich immer für einen herausragenden konservativen Theologen gehalten und wüssten jetzt nicht mehr, was sie von mir denken sollten. Ich müsse schon klar sagen, zu welchem Lager ich gehörte, ob ich ihr Freund oder ihr Feind sei. Die Schreiber dieser Briefe waren keineswegs einfache Seelen, wie man annehmen könnte. Auch der bereits erwähnte Lektor des Sankt Ulrich Verlags, Michael Widmann, mailte mir in diesem Sinne, da er fürchtete, solche Vorwürfe könnten sich nachteilig auf den Verkauf meines Buches auswirken.
Die Fördergemeinschaft von Theologisches sah nun ebenfalls die Notwendigkeit zu handeln. Im Umgang mit der nun mehr oder weniger öffentlich gewordenen Vermutung um meine Veranlagung bildeten sich dort zwei Fraktionen heraus.
Die einen, die mich ohnehin schon lange loswerden wollten, sahen jetzt ihre Stunde gekommen: Nachdem nun auch noch der Schein des untadeligen Herausgebers gründlich zerstört sei, müsse man im Interesse der Zeitschrift handeln und mich schleunigst ablösen. Nicht auszudenken, wenn »die vermeintliche Schwulheit unseres Herausgebers ... allgemein bekannt würde bei den Beziehern von Theologisches wie Kardinal Meisner!«, hieß es in dem offenen Brief eines einflussreichen Mitglieds der Fördergemeinschaft an deren andere Mitglieder. Auch einige Dauergäste der Düsseldorfer Herrenabende wurden nun aktiv. »Ja, wir müssen dringend handeln«, schrieb ein mit »Cavaliere di Onore « (Ritter der Ehre) unterzeichnender Professor in einem Fax an seinen »ritterlichen Mitbruder in Christo«. Das einzig annähernd Argumentative, was der ritterliche Mitbruder in dem vorausgegangenen Brief an den Ehrenritter vorgebracht hatte, war, dass meine Sprache »sexuell abwegig angehaucht« sei. Was darunter zu verstehen ist, bleibt mir bis heute ein Rätsel. So einigte man sich auf ein Treffen, um das »weitere Vorgehen« zu koordinieren und einen neuen » unverbrüchlich-vulgärtraditionalistischen « Herausgeber zu finden. Ein Mitglied der Fördergemeinschaft, das zugleich für kreuz.net arbeitete, schlug den von Erzbischof Haas zum Priester geweihten Reto Nay vor. Dass die Wahl auf Nay fiel, war sicher kein Zufall.
Der 1962 geborene Nay ist ein typischer Vertreter einer neuen Generation »vagierender« Traditionalistenpriester . Diese wählen sich vornehmlich Diözesen aus, in denen besonders reaktionäre Bischöfe regieren. So begab sich Nay, nachdem Erzbischof Haas wegen seines reaktionären Katholizismus »strafversetzt« worden war, von Chur nach St. Pölten in die Obhut Krenns. Als es wegen des Sexskandals eng um Krenn wurde, zog Nay wiederum weiter, diesmal sehr weit weg. Der Priester, der als Dozent für Bibelauslegung eine Zeitlang am Priesterseminar der »Diener Jesu und Mariens« mein Kollege war, war von 2002 bis 2006 Pfarrer in Moldawien, was für einen Schweizer ungewöhnlich scheint.
Aber genau dieser außergewöhnliche Standort am äußersten Rand Südosteuropas bot ihm die Möglichkeit, die TV-Version von kreuz.net , den Internetfernsehkanal Gloria.tv, zu gründen. Moldawien gilt im Hinblick auf das Internet als »wilder Westen«. Von hier aus kann man sich, ohne Furcht vor ernsthaften juristischen Folgen, in bewegten Bildern ähnlicher Methoden wie kreuz.net bedienen. Das tut Gloria.tv denn auch ganz hemmungslos, aber so unprofessionell, dass seine Bedeutung noch lange nicht an kreuz.net heranreicht.
Obwohl der Vorschlag, Nay zu meinem Nachfolger zu machen, nicht nur bei besagtem Mitglied der Fördergemeinschaft , sondern auch bei einigen anderen im Dunstkreis von Theologisches auf Gegenliebe stieß, war vor allem einigen Mitgliedern des Opus Dei und den eher gemäßigten Mitgliedern der Fördergemeinschaft die ganze Sache zu riskant. Denn der seriöse Ruf der Zeitschrift sollte unbedingt gewahrt werden - so gerne man auch in dieser Gruppe wieder einen geistlichen Herrn an der Spitze gesehen hätte. Ein anderer geeigneter Kandidat war aber nicht in Sicht, und so beschloss man am Ende, die fromme Kulisse nach außen hin aufrechtzuerhalten und das Wissen um den nicht ganz so »untadeligen« Ruf des Herausgebers zugleich in
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