Der Heiratsspezialist
die Brust gedrückt und dabei gedacht: Nun zeig mal, was du kannst, Junge! Orgelspielen kannst du, Trompete blasen, komponieren, dirigieren, aber alles eben nur so gut, daß du niemals in die Zeitung kommst, daß niemand jemals über dich sprechen wird. Du bist genau das Mittelmaß, das man vergißt. Aber ich habe einen Ice-Saloon fünfunddreißig Jahre lang geführt und bin nicht dabei verhungert! Das mach mir mal nach! – Soll ich vor dieser Herausforderung davonlaufen? Soll ich das Handtuch werfen und damit beweisen: Jawohl, ich bin ein Versager?!«
»Du bist ein Genie!« sagte Sandra leise.
»Wiederhole das bitte.« Bob starrte sie entgeistert an. »Du bist der erste Mensch, der mir so etwas sagt!«
»Du bist ein Genie im Tiefstapeln.« Sie lachte dunkel, streichelte seine Hand und sah ihn verliebt an. »Außerdem hast du Angst.«
»Angst? Vor wem?«
»Vor Jenny! Gib es zu.«
»Es wird nicht einfach werden.« Bob schob die Unterlippe vor. Wenn er an Jenny dachte, machten ihm zwei ungelöste Probleme zu schaffen: Der Bruch seines Versprechens, sich nie in eine seiner Ehepartnerinnen zu verlieben, und die Ungewißheit von Jennys Zukunft, für die er laut Testament zu sorgen und wozu er sich verpflichtet hatte. Wie er Jenny kannte, würde es ein Drama mittlerer Größe werden, ja es konnte sogar sein, daß Jenny tatsächlich zu einem Röhrchen Schlaftabletten griff. So etwas war und blieb in Mode, nachdem Marilyn Monroe damit aus dem Leben geschieden war und eine Reihe anderer Leinwandgrößen in gleicher Art ihre Probleme lösten. Für Bob war der Gedanke unerträglich, eines Morgens die schöne Leiche Jennys identifizieren zu müssen. Bei allem, was Bob ihr sagen wollte, bei allen Vorschlägen, die er sich überlegt hatte – bei Jenny war niemals etwas unmöglich!
»Soll ich mit ihr sprechen?« fragte Sandra.
»Leih dir vorher bei einem Kostümverleiher eine Ritterrüstung.« Bob schüttelte den Kopf. »Juliane erstickte fast an Eistorten, die Jenny ihr ins Gesicht feuerte.«
»Sie wird mich nicht angreifen!« sagte Sandra und lächelte geheimnisvoll. »Wir werden uns freundschaftlich unterhalten.«
»Wie Maria Stuart und Elisabeth.«
»Abwarten.« Sandra erhob sich. »Fahren wir jetzt endlich zu dir!«
»Ich wollte dir noch Las Vegas zeigen …« wich Bob aus.
»So schön ist es nun auch wieder nicht, Bob. Es hat keinen Sinn, einen Sandhaufen zu suchen, in den du deinen Kopf stecken kannst. An Jenny führt kein Weg vorbei – stimmt's?«
»Es stimmt.«
»Dann los! Ich brauche dich übrigens nicht dazu. Du kannst hier sitzen bleiben. Ruf ein Taxi, gib dem Fahrer deine Adresse – und wenn alles erledigt ist, rufe ich dich hier an.«
Sie ging hinaus, winkte ein Taxi heran und riß die Tür auf. Bob lief ihr nach, aber es war schon zu spät. »Welche Adresse?« fragte Sandra.
Der Fahrer sah Bob bunkernd an und grinste breit. Auch die Nachmittage haben ihre Reize in Las Vegas. Schnuckelige Puppe, dieses Rotkäppchen. Bob blickte finster zurück, schlug hinter Sandra die Tür zu und nannte seine Adresse. Der Fahrer war etwas verwirrt; der Kerl läßt so etwas allein wegfahren?! Er sah noch im Rückspiegel, wie Bob ihnen nachwinkte und Sandra die Hand hob, Zeige- und Mittelfinger zu einem V ausgestreckt! Victory.
Irgendwie sind sie alle verrückt in Las Vegas, dachte der Fahrer. Aber was soll man sich für zwei Dollar fünfzig noch lange Gedanken machen?!
Bob atmete tief auf, lief wie ein Ausgeplünderter durch die Stadt und landete in ›Thompsons Pub‹, einem Bierlokal im englischen Stil. Er kannte den Barmann, der außerhalb der Stadt in einer grünen Oase wohnte und auf dem Nachhauseweg manchmal bei Bob vorbeikam, um ein Eis zu essen. Nach zwölfstündigem Biergeruch hatte er Sehnsucht nach süßer Kälte und schaumiger Schlagsahne.
»Heute saufe ich alles!« sagte Bob und klemmte sich auf einen der ledernen Barhocker. »Danny, bring irgend etwas, was scharf ist und mich schnell umwirft …«
Jennys Geheimnis war es, sich nie überraschen zu lassen. Da sie den Menschen, vor allem den Männern, zu jeder Sekunde jede Gemeinheit zutraute, gab es nichts, was Jenny erschüttern konnte. Zu Überraschungen war immer nur sie selbst fähig, weil andere ihr grundsätzlich nur erotische Kapriolen zutrauten.
Ahnungslos kam sie jedoch an jenem Tag auf den neuen Gast zu, der gerade Bobs Ice-Saloon betreten und sich interessiert umgeblickt hatte. Sandras erster Eindruck von dem Lokal war erstaunlich gut;
Weitere Kostenlose Bücher