Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
fünf, zehn Minuten«, log Enron. »Wir haben uns schon mal was zu trinken bestellt. Du musst dich beeilen, uns einzuholen.«
»Stimmt«, sagte Farkas. Er kümmerte sich nicht um das Keyboard am Tisch, sondern winkte dem Kellner zu, der ihm wie selbstverständlich einen großen Schwenker mit einem Klacks irgendeiner dunklen alkoholischen Flüssigkeit brachte.
Zweifellos sein gewohnter Drink, dachte Enron. Er scheint hier wirklich gut bekannt zu sein.
»Pisco«, sagte Farkas. »Ein Brandy aus Peru. Du würdest ihn mögen, glaube ich. Darf ich dir einen bestellen?«
Wieder gab er dem Ober einen Wink.
»Ich bin kein großer Trinker«, warf Enron rasch ein.
»Ich nehme einen«, sagte Jolanda, beugte sich eifrig zu Farkas hinüber und lächelte ihn so strahlend an, dass Enron innerlich vor Ärger kochte. Ihr letzter Drink stand noch halbvoll vor ihr.
»Du kommst bestimmt oft hierher«, sagte er zu Farkas.
»Praktisch jeden Tag. Ein recht erfreulicher Ort, sehr angenehm und auch sehr hübsch. Sofern einen die Statuen und Holobilder von El Supremo nicht stören, mit denen sie das Lokal ausgeschmückt haben.«
»Ach, daran gewöhnt man sich«, sagte Enron.
»Ja, das stimmt.« Farkas nippte an seinem Brandy. »Eins muss man dem alten Tyrannen lassen, was? Die perfekte Reinkarnation eines Diktators einer Bananenrepublik im 19. Jahrhundert, der sich irgendwie eine ganze Satellitenwelt unter den Nagel gerissen hat und sie seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Griff lässt. Ein ganz privates Empire. Vorausgesetzt, natürlich, dass er überhaupt noch lebt.«
»Was willst du damit sagen?«
»Kein Mensch sieht ihn jemals leibhaftig, weißt du. Keiner außer seinen allerengsten Vertrauten. Der Regierungsbezirk in Valparaiso Nuevo ist absolut abgeschottet. Keiner könnte sagen, ob Don Eduardo nicht schon vor zehn Jahren gestorben ist und man das geheim gehalten hat. Aber das würde nicht den geringsten Unterschied machen, was die Organisation hier angeht. Es ist wie im alten Rom, wo manchmal der Kaiser schon seit Wochen oder Monaten tot war, und die Hofbeamten führten einfach alles weiter wie bisher, ohne jemandem etwas zu sagen.«
Enron lachte, so herzhaft und fröhlich, wie es gerade noch plausibel erscheinen mochte. »Eine drollige Bemerkung, das. Aber es steckt was Wahres drin, oder? Wie bei jeder anständigen Art von Autokratie, erledigen die höheren Beamten des Hofes das ganze Interfacing mit der dreckigen Realität, und der Alleinherrscher hält sich erhaben fern.«
»Und heute ist sowas natürlich noch weitaus leichter, wo man Don Eduardo für jedes Auftreten in der Öffentlichkeit elektronisch abrufen kann, ohne den Generalissimo dafür in seinem Bau stören zu müssen.«
Wieder lachte Enron, diesmal nicht ganz so heftig. Er blickte Farkas fröhlich und leicht verwirrt an, das beste, was er zustande brachte, um wie ein kleiner Naivling zu wirken. »Aber sag mir eins, Victor – ich darf dich doch Victor nennen? –, du denkst doch nicht im Ernst, Callagher könnte tot sein?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich habe nur so ein bisschen Spekulationen angestellt, verstehst du. In Wahrheit vermute ich, dass er noch arg lebendig ist.«
Enron betrachtete Farkas genau, als er sagte: »Es ist bemerkenswert, dass er sich dermaßen lange gehalten hat, wenn das denn tatsächlich der Fall ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Menge Leute gibt, die sich die Finger lecken würden nach einer einträglichen kleinen Welt wie Valparaiso Nuevo, so voll wie es steckt von höchst gesuchten Flüchtlingen. Dass Don Eduardo es bisher geschafft hat, einen Staatsstreich zu verhindern, erscheint mir wie ein Wunder, wenn man bedenkt …«
Enron spähte nach einer Reaktion bei Farkas – ohne sichtbaren Erfolg.
Oder war da ein winziges flüchtiges unwillkürliches Zucken in Farkas' linker Gesichtshälfte? Es kam und war sofort wieder weg, und Farkas lächelte heiter, zeigte höfliches Interesse, aber nicht mehr. Er ist sehr, sehr gut, dachte Enron. Aber er weiß etwas. Bestimmt!
Farkas sagte: »Wie ich gerade sagte, er ist total abgeschirmt. Darin liegt vielleicht das Geheimnis seiner Langlebigkeit.«
»Bestimmt.« Und sehr vorsichtig setzte Enron hinzu: »Und, was denkst du, könnte der Supremo gestürzt werden, wenn jemand sowas richtig plante?«
»Mit der richtigen Planung könnte der Teufel sogar Gott von seinem Himmelsthron stoßen.«
»Schön. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich. Bei Don Eduardo dagegen
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