Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
eine Unterwelt, die sich auf mysteriöse Weise selber auffraß. Ein völlig dunkler Wald von toten Bäumen auf einem scharfrückigen, langen, braunen Hügelkamm, aus denen wie ein absurder Witz ein verrostender Skilift herabhing. Ein ausgetrockneter See. Ein Streifen toter grauer Erde, ein Gewirr geschwärzter ineinander verhedderter Drähte, Haufen von Schrottautos – im Hintergrund skeletthafte Spuren einer verlassenen Stadt, stählerne Bauträger, Fensterrahmen wie leere Augenhöhlen.
Dann wurde alles flacher. Die Luft sah graubräunlich aus. Er kam jetzt in die Gegend der Dust Bowls, der Staubschüsseln, in das traurige ausgetrocknete Herzstück des Kontinents, wo einstmals die riesigen Weizenfelder waren, ehe die Sommer sich zu Glutöfen verwandelten, bevor die Luft schlecht wurde und der Regen anderswohin verschwand. Die weiten Himmel und die Majestät der purpurblauen Berge waren immer noch da, sicher, dicht hinter ihm in Utah und Wyoming, doch jetzt war er schon weiter östlich davon, in Nebraska, vielleicht schon Iowa, und die fruchtbaren Ebenen waren zum Teufel gegangen, und Carpenter fand nirgendwo Spuren der früheren bernsteingoldenen Getreidefelder.
Doch es lebten noch Menschen hier. Im dunkelnden Abend sah er zu beiden Seiten der Straße die Lichter von Ortschaften und Städten. Weshalb Leute in dieser Gegend hausen wollten, überstieg Carpenters Begriffsvermögen, aber er sagte sich, dass ihnen wahrscheinlich keine große Wahl geblieben war, sie waren hier geboren und sahen keine Chance, an einen besseren Ort zu ziehen, oder aber sie waren auf den Wellen des Missgeschicks an diesen wasserlosen Strand gespült worden, und da waren und da blieben sie. Requiescant in pace.
Wenigstens haben sie ein Zuhause, dachte er.
Er dachte darüber nach, was er tun sollte, wenn seine lange Irrfahrt von nirgendwo nach nirgendwo und zurück vorbei und er eine neue Lebensetappe zu beginnen bereit war. Aber welche neue Etappe? Wohin sollte er gehen? Was tun? Er hatte nichts, was er sein Zuhause nennen konnte. Los Angeles? Das kannte er kaum noch. San Francisco? Spokane? Die Firma war sein Zuhause gewesen, und die Firma hatte ihn nach Belieben von Boston nach St. Louis und Winnipeg und Spokane versetzt. Und wo er auch war, er gehörte immer noch zur Firma.
Und jetzt war das vorbei. Dies begann er erst jetzt mühsam zu begreifen. Keinerlei Aufstiegschancen, keine Privilegien mehr. Der erste Junge seines Jahrgangs, der es schaffte auf einem Null-Niveau zu landen.
Irgendwo mitten in Illinois, eine, zwei Stunden westlich von Chicago, kam es zu Staus auf der Straße, und sein Wagen erklärte ihm, dass weiter vorn eine Straßensperre sei. Aus westlichen und südlichen Richtungen waren alle Zufahrten in die Stadt abgesperrt, außer über die offiziellen Quarantäneschleusen.
»Was ist da los?«, fragte Carpenter.
Doch sein Wagen war nur ein billiger Miettyp und nicht programmiert, mehr als Basisinformationen zu bieten. Das beste, was er zustandebrachte, war ein Kartendisplay der roten Sperrzone mit weiten Bereichen von Missouri und West-Illinois bis weit nach New Orleans hinunter und auf der anderen Seite des Mississippi von Louisiana nach Kentucky und Teile von Ohio hinein. Nach der Angabe des Wagens lag die nächste Zugangsmöglichkeit in die Schutzzone für Reisende, die nach Chicago wollten, in Indianapolis, und der Wagen schlug den entsprechenden Umweg vor.
»Wie du meinst«, sagte Carpenter.
Er schaltete das Radio an und bekam teilweise die Antwort. Da sprachen sie von einem Ausbruch von Chikungunya in New Orleans und Befürchtungen, dass sich dort Guanarito und Oropouche ebenfalls ausbreiten könnten. Aus dem Gebiet um St. Louis wurden Sekundärfälle berichtet. Carpenter hatte noch nie etwas von Chikungunya, Guanarito oder Oropouche gehört, aber es handelte sich eindeutig um Krankheitsbezeichnungen; anscheinend grassierte drunten im Süden irgendeine Epidemie, und die Behörden versuchten, eine Ausbreitung nach Chicago zu verhindern.
Als er Indianapolis erreichte, es ging schon gegen Mittag, erfuhr er den Rest, als er an der Quarantänestation darauf wartete, befragt zu werden. Die Krankheiten mit den langen Namen wurden von Tropenviren hervorgerufen, erklärte man ihm. Ausreißer aus Afrika und Südamerika, die sich in den neuen Regenwäldern Louisianas, Floridas und Georgias herumtrieben – sie lebten in tierischen Wirtskörpern, wurden übertragen durch Zecken und Wanzen und gelangten über sie ins
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