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Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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das ginge. Aber du kannst dir nicht einfach irgendeine Identität erfinden und dich dann um eine Arbeit bewerben, Isabelle. Du brauchst eine plausible Identität, die man vorweisen muss. Er könnte unmöglich beim Personalscan eines Megakonzerns durchkommen und verheimlichen, was los war.«
    »Also kann er jetzt überhaupt keinerlei Anstellung mehr kriegen?«
    »Nichts, was seinen Qualifikationen entsprechen würde, nein. Einen Job als Arbeiter, vielleicht, aber das weiß ich nicht. Für jede Art manueller Arbeit müsste er sich gegen diese ganzen Leute von den Unterklassenverbänden bewerben. Die haben direkte Verbindungen, was die Zuteilung von Drecksjobs angeht. Und jeder, der von einem Angestelltenlevel runtersackt, hat es verdammt schwer, wieder irgendwo zu landen, wenn es so viele andere Unterklasse-Bewerber vor ihm gibt, die sauber sind. Ein hoher Intelligenzquotient garantiert wirklich nicht, dass du in der Bewerberschlange an die erste Stelle rückst.«
    »Also ist er einfach erledigt. Er fällt einfach raus aus dem System. Ist nicht vermittelbar. Sowas kann ich kaum glauben.«
    »Ich will versuchen, mir was einfallen zu lassen«, versprach Rhodes.
    »Ja, das müsstest du wirklich.«
    Aber was? Was denn? Er zerschmolz innerlich vor Mitgefühl mit seinem alten Freund, aber sein Kopf war leer, und er fand keine Lösung für Pauls Schwierigkeiten. Entlassungen dieser Art kamen vor in der Megafirmen-Welt. Widerspruch war eine dermaßen fragwürdige Sache.
    Und es war auch etwas völlig Neues für ihn, dass er sich Sorgen um Paul machen musste. Ihr ganzes Leben lang war es umgekehrt gewesen: Rhodes in der Scheiße oder doch unsicher und verwirrt, irgendwo festgefahren, und Carpenter, kühl und klar kalkulierend, erklärte ihm, wie er mit dem Problem umgehen sollte. Es war so neu, dass er in Carpenter jetzt den Verletzlichen, einen Hilflosen, einen Angeknackten sehen musste. Carpenter war stets der fähigere von ihnen beiden gewesen, hatte sich mit sicherer Zielstrebigkeit durchs Leben gehangelt. Nicht so gescheit wie Rhodes, nein, das nicht, in keiner Richtung besonders begabt, aber klug, selbstbestimmt, immer glatt und selbstsicher von einem Posten zum nächsten wechselnd, von einer Stadt in die andere, von einer Frau zur nächsten, einer, der immer wusste, was er als nächstes tun wollte und wo ihn das hinbringen würde.
    Und nun?
    Ein schwacher Moment, eine Fehlentscheidung, und da saß Carpenter in der Wüste, auf dem Trockenen, von einem verrückten schicksalhaften Kick seines Schicksals an den tödlichen öden Strand einer erbarmungslosen Welt gespült. Plötzlich hatte sich das dynamische Gewicht in ihrer Freundschaft völlig umgekehrt. Rhodes erkannte das jetzt: Carpenter war jetzt der, der verwirrt war und hilfebedürftig – und er sollte die Lösungen für verzwickte Probleme finden. Nur – leider hatte er keine Lösungen parat.
    Aber ich muss eine finden, sagte er sich. Das war er Carpenter zumindest schuldig. Nein, viel mehr. Irgendwas muss für ihn getan werden, dachte er. Von mir. Es gibt sonst keinen, der ihm helfen kann. Doch im Augenblick war er blockiert.
    Seine Stimmung sank rapide. Er merkte, dass er sich Carpenter unter dem dampfenden Dreckhimmel Chicagos vorstellte, wie er einsam und verloren in der fremden Stadt umherirrte, in einer Umwelt, neben der die nächtlichen Gasstreifen am Himmel hier wie lustige weihnachtliche Festdekorationen wirkten.
    »Ins Bett«, wiederholte er. »Wie wär's damit?«
    Isabelle wandte sich zu ihm um. Lächelte. Nickte. Ihre Augen waren warm, verlockend auffordernd. Paul Carpenter mit seinen Problemen verschwand in den Hintergrund. Er ertrank in einem Ansturm von Liebe zu Isabelle.
    Morgen erzähle ich ihr von dem Kyocera-Job, versprach er sich. Vielleicht nicht gerade die Beteiligung von Wu Fang-shui, aber das übrige, die erweiterten Labormöglichkeiten, die Karriereverbesserung, die erhöhte Förderung seitens der Firma. Isabelle würde verstehen, wie wichtig es für ihn war, seine Arbeiten fortzusetzen und zum Erfolg zu führen. Wichtig nicht bloß für ihn, für alle, für die ganze Welt.
    Er dachte an das Geschenk, das er von ihr beim letzten Weihnachtsfest erhalten hatte: den Holochip mit dem Mantra aus den Wörtern, die das Hauptfeld seines Adapto-Projekts bezeichneten:
     
    KNOCHEN – NIEREN
    LUNGEN – HERZ
    HAUT – GEHIRN
     
    Sie verstand ihn. Sie würde es letztlich nicht so weit kommen lassen, dass seine Arbeit sie auseinander brachte, davon

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