Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
das war für ihn eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber Jeanne Gabel war eigentlich keine Fremde für ihn, aber trotzdem kannte er sie nicht. Gekannt hatte er sie so lange Zeit – und sie überhaupt nicht gekannt, und sie waren so gute Freunde und dabei doch nie intim geworden. Und nun lag er hier neben ihr im Bett, und seine Hand streichelte ihre Brust. Und sie wartete. Aber sie hatte unverkennbar Furcht. Und sie schien ebenso wenig zu wissen, was tun, wie er. Ihm war bange, dass sie sich nur aus Mitleid mit ihm dazu bereitfand, und das wäre ihm gar nicht recht gewesen. Außerdem schoss ihm der absurde Gedanke durch den Kopf, dass sie vielleicht noch Jungfrau sein könnte; aber nein, nein, sowas war unmöglich. Sie war mindestens fünfunddreißig. Frauen, die so lange jungfräulich blieben – jedenfalls falls es so etwas außerhalb von Klostermauern überhaupt noch gab –, wollten wahrscheinlich diesen Zustand bis an ihr Ende beibehalten.
Sie rückte enger zu ihm her, gab ihm ungeschickt zu verstehen, dass er weitermachen solle. Seine Hand glitt an die Stelle, wo ihre Schenkel sich trafen.
»Paul – ah, ja, Paul … ja …«
Die Theatralik, das bühnenreife irgendwie künstliche Seufzen störte ihn ein bisschen. Aber was sonst hätte sie schließlich sagen sollen? Was konnte sie in dieser spannungsgeladenen neuen Situation schon anderes sagen als ›Paul‹ und ›ja‹?
Er streichelte sie ausgiebig und zart und konnte es immer noch irgendwie nicht recht glauben, dass es wirklich geschah, dass Jeanne und er nach all dieser langen Zeit wahrhaftig miteinander im Bett waren. Und er war auch keineswegs völlig sicher, dass es richtig war, wenn es jetzt so geschah.
»Ich liebe dich«, flüsterte er. Worte, die er früher oft und oft zu ihr gesagt hatte, leichthin und spielerisch-neckend, und etwas schwang auch jetzt davon mit. Aber auch noch etwas anderes – ein Schuldgefühl vielleicht, dass er einfach so in Jeannes geordnetes Single-Leben geplatzt war, in seiner hirnlosen, panisch verzweifelten Flucht aus dem Chaos, in das er nach der Rückkehr nach San Francisco geraten war. Und dazu kam noch diese Komponente von Dankbarkeit, die er ihr gegenüber empfand, dass sie sich ihm hingab. Verspieltheit, Schuldgefühl, Dankbarkeit: keine besonders guten Gründe, jemandem zu sagen, dass man ihn liebt, dachte Carpenter.
»Ich liebe dich, Paul«, flüsterte sie mit kaum vernehmbarer Stimme, während seine Hände über die geheimen Orte ihres Körpers irrten. »Ich lieb dich wirklich.«
Und dann war in ihr.
Keine Jungfrau, nein, soviel war ziemlich sicher. Doch er vermutete, dass es lange her war, dass sie so mit einem Mann zusammen gewesen war. Eine sehr lange Zeit.
Ihre langen muskulösen Arme umschlangen ihn fest. Ihre Hüften bewegten sich in scheinbar eifriger Rhythmik, auch wenn es eine andere war als die seine, und das machte die Sache ein wenig schwierig. Sie schien aus der Übung zu sein. Carpenter setzte sein Gewicht ein und versuchte, alles besser zu koordinieren. Das schien zu klappen – sie beugte sich seiner erfahreneren Technik. Doch dann, ganz plötzlich, schwamm ihm alles, was er im Lauf der Jahre an diesbezüglichen Techniken gelernt hatte, auf einem tosenden Strom von Emotionen davon, der brüllend tief aus ihm heraufschoss, ein verzweifelter Ansturm von Entsetzen und Verlorenheit und des Bewusstseins, in was für einen Absturz in bodenloses Chaos sein Leben auf einmal geraten war, ohne Fallschirm, ungesichert. Durch seinen Kopf tosten wilde Stürme, heiße Howling Diablos jagten ihm Glutstöße durch die Seele, während ohne Ende durch Regionen von Giftgasen wirbelte. Er klammerte sich an diese Frau, er jammerte und stöhnte wie ein kleiner Junge in den Armen seiner Mutter.
»Ja, Paul, jaaa!«, flüsterte sie. »Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.«
Als er ejakulierte, war das wie ein Hammer, der aus ihm heraus zuschlug. Er schrie keuchend auf und vergrub seinen Kopf an Jeannes Hals, und die Tränen strömten ihm aus den Augen wie schon seit vielen, seit mehr Jahren, als er sich noch erinnern konnte, nicht mehr. Danach lagen sie lange wortlos da, fast ohne sich zu regen. Dann küsste sie ihn flüchtig auf die Schulter und glitt aus dem Bett und verschwand im Bad. Dort blieb sie sehr lange. Er hörte Wasser laufen und vielleicht auch, dachte er, ein Schluchzen, war aber nicht sicher, und er hätte bestimmt nicht nachzufragen gewagt. Wenn schon, dachte er, dann lass es doch
Weitere Kostenlose Bücher