Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Sie kannten einander mehr oder weniger schon ihr Leben lang. Rhodes, der zwei Jahre älter war, war zunächst der Freund von Carpenters etwas älterem Bruder gewesen, damals in der fernen Kindheit in Südkalifornien. Aber als sie halbwüchsig wurden, war Rhodes für den Geschmack des älteren Carpenter doch ein bisschen zu verträumt und zu verletzbar geworden, aber rätselhafterweise tickten er und Paul richtig zusammen.
    Ihr Leben war die ganze Zeit parallel verlaufen; bald nach dem Collegeabschluss waren beide in das riesige Firmenunternehmen der Samurai Industries eingetreten; mit dem einen Unterschied, dass Rhodes eine echte wissenschaftliche Begabung besaß, während Carpenters geistige Hauptinteressen sich auf weniger steinige Felder wie Geschichte und Anthropologie richteten, wo eine echte Karriere nicht denkbar war. Und so hatte Rhodes sich auf Biogentechnik verlegt, einen erfolgsträchtigen Weg mit raschen Aufstiegschancen, bei dem die Firma für die Kosten der Promotionsarbeit und die Forschungsarbeiten in der Folge aufkam; und Carpenter hatte sich als nichtspezialisierter Azubi für Management verpflichtet, und er wusste, dass dies für ihn eine Reihe völlig unvorhersehbarer, immer anders gelagerter Firmenbereiche bedeuten würde, und er völlig von den Launen seines Arbeitgebers abhängig sein würde. Aber wie verschieden und kompliziert ihr Leben seit damals auch verlaufen war, sie hatten es immer irgendwie zustande gebracht, sich Gefühle einer Art zärtlicher, aber zäher Freundschaft zu bewahren.
    »Also«, sagte Carpenter, »es ist ja wirklich ganz schön lange her.«
    »Ja, weiß Gott, Paul. Was für eine angenehme Überraschung. Lass mich dir sagen, du siehst großartig aus!«
    »Wirklich? Das macht das Leben in dem berühmten Spokane. Der Wein, die Weiber, der Wohlgeruch der Blumen. Und du? Läuft alles glatt? Privat, mit der Arbeit?«
    »Wundervoll.«
    Carpenter hätte nicht sagen können, ob da Ironie mitschwang. Wahrscheinlich.
    »Gehen wir hinein«, sagte er. »Du musst den Verstand verloren haben, dass du ohne Atemmaske im Freien herumläufst. Oder hast du dir die Lunge mit Vanadiumstahl retrofitten lassen?«
    »Wir sind hier nicht in deinem Inlandimperium, Paul. Hier gibt's tatsächlich noch sowas wie eine Brise von der See. Es ist durchaus unschädlich, hier ungefilterte Luft zu atmen.«
    »Ach, ehrlich?« Carpenter zog sich die Maske ab und steckte sie ein. Er war einigermaßen erleichtert. Dieser ganze Rummel mit den Schutzmasken war wahrscheinlich sowieso nichts als paranoide Überreaktion, vermutete er. In Städten wie Memphis, nun ja, oder Cleveland oder St. Louis, da hatte man es nötig, sich hinter möglichst vielen Filtern zu schützen, wenn man ins Freie ging. Die kaputte Luft dort traf einen wie ein Messer und schnitt einem wie ein Skalpell direkt durch die Lungen bis in die Eingeweide. Aber hier in der Bay-Region? Rhodes hatte recht. Noch war nicht die ganze Welt unbewohnbar geworden. Noch nicht völlig.
    Rhodes schien in dem Restaurant beliebt zu sein. Es war ziemlich viel Betrieb, doch der Maître, ein seidig zirpender Android von leicht orientalischem Aussehen, begrüßte ihn mit theatralisch übertriebener Herzlichkeit und geleitete sie sofort zu einem Tisch hoch oben in der mittleren Kuppel, der mit seinem großartigen Blick auf das Wasser sicherlich bevorzugten Gästen vorbehalten war. »Was trinkst du?«, fragte Rhodes, kaum dass sie sich gesetzt hatten.
    Überrascht bat Carpenter um ein Bier. Rhodes bestellte für sich Whiskey-on-the-rocks. Die Getränke kamen fast sogleich, und Carpenter beobachtete interessiert, wie hastig Rhodes sich ans Werk machte und wie geschwind er den Drink beseitigte.
    »Eisbergskipper«, sagte Rhodes und ließ auf den Tischvisoren die Speisenkarten erscheinen. »Wie bist du denn auf die Idee gekommen?«
    »Man hat es mir angeboten. Eine Frau in der Personalsektion, drüben in Paris, die ich kenne. Sie sagte, das bringt Aufstieg. Ach, verdammt, Nick, auch wenn's mich nicht höherbringt, ich fand Spokane zum Kotzen. Also wandre ich eben weiter. Ich mache dies, ich mache das, alles, was die Firma sagt. Der brave Gehaltsempfänger unterster Klasse, der sich nie beklagt. Allround-Hanswurst für alle Sparten, und früher oder später in jeder ein Meister.«
    »Warst du nicht zuletzt Wetterprophet?«
    Carpenter nickte. Irgendwie war eine zweite Runde Getränke auf dem Tisch aufgetaucht. Er hatte nicht bemerkt, dass Rhodes nachbestellt hatte. Er war

Weitere Kostenlose Bücher