Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
grandiose flutlichtbestrahlte Brücke.
Sofort wurden Aperitifs serviert. Darin war Rhodes sehr geschickt, das zu arrangieren, stellte Carpenter fest.
»Ich möchte klarstellen«, sagte der israelische Journalist, »dass meine Zeitschrift alles heute Abend bezahlt. Also, seid alle bitte in keiner Weise zu bescheiden.« Man hatte ihm als dem ausländischen Gast einen Platz direkt gegenüber dem Aussichtsfenster gegeben. »Was für eine wunderschöne Stadt, euer San Francisco! Mich erinnert es stark an Haifa, die Berge, die weißen Häuser, das Grün. Aber in Haifa ist alles selbstverständlich nicht so vertrocknet und verstaubt. Ganz und gar nicht. Warst du schon einmal in Israel, Dr. Carpenter?«
»Einfach Mister Carpenter, bitte. Und nein, nein, noch nie bisher.«
»Es ist wunderschön. Es würde dir gefallen. Überall Blumen und Bäume, Reben. Aber natürlich ist ganz Israel schön, ein einziger großer Garten. Ein Paradies. Ich weine, wenn ich das Land verlassen und irgendwo anders hingehen muss.« Enron bedachte Carpenter mit erstaunlich eindringlich bohrenden Blicken und höchst neugierig. Die Augen waren dunkel, unergründlich, und sie blitzten vor Wissbegier; das Gesicht war kantig und straff, glattrasiert, aber die ersten schwarzen Spitzchen eines assyrischen Lockenbartes sprossten bereits wieder aus der frischrasierten Haut. »Du bist auch bei Samurai Industries, höre ich. Darf ich fragen, in welcher Kapazität?«
»Gehaltsgruppe Elf«, erwiderte Carpenter. »Mit der Hoffnung, es in der nächsten Zeit auf Zehn zu schaffen. Ich war droben im Norden, arbeitete in der Wettervorhersage, und jetzt warte ich darauf, als Kapitän eines Trawlers auszulaufen, der Eisberge für die Wasserversorgung im San Francisco District heranschleppt. Hier haben sie nämlich nicht diese üppigen Regen wie ihr da drüben im östlichen Mittelmeer.«
»Ach so.« Carpenter bemerkte, wie etwas in den dunklen Augen ausklickte. Keine Neugier mehr. Schluss, Ende für Enrons kurz aufflackerndes Interesse an Mr. Gehaltsstufe Elf Carpenter bei Samurai Industries.
Dann wandte sich der Israeli Jolanda zu, die zwischen ihm und Carpenter saß. »Und du, Ms. Bermudez? Du bist Künstlerin, richtig?«
Enron wollte sie offensichtlich der Reihe nach ausfragen.
»Vorwiegend Bildhauerei«, sagte sie mit erneutem hinreißendem Lächeln zu Enron. Es war, als müsste sie mindestens fünfzig Schneidezähne vorn im Mund bereit haben. Das Gesicht war rund, voll, hübsch, der Mund breit, und dann diese wundersam vorgewölbten Hyperdex-Augen. »Ich arbeite überwiegend mit bioresponsivem Material. Der Betrachter und das Kunstwerk sind durch eine Feedbackschleife miteinander verbunden, so dass das, was du siehst, durch das modifiziert wird, was du selbst wesentlich bist.«
»Faszinierend!«, sagte Enron, aber es war offensichtlich, dass er es nicht wirklich meinte. »Ich hoffe, ich bekomme Gelegenheit, deine Arbeit ganz aus der Nähe kennenzulernen.«
»Außerdem mache ich Modern Dance«, sprach sie weiter. »Und ich habe auch ein paar Gedichte geschrieben, aber ich möchte sie nicht als wirklich gut bezeichnen. Und ich war auch beim Theater. Ich habe im letzten Sommerfestival in Berkeley in der Earth Saga an der Mole mitgewirkt, und es war ein ziemlich großes Ereignis für uns alle, ebenso sehr ein Bittgebet wie ein Theatererlebnis. Ein Bittgebet, meine ich, zum Schutz für unseren Planeten. Wir wollten das Publikum einstimmen auf die tieferen kosmischen Kräfte, die uns immer und überall umfangen halten, die uns aber nur sehr selten bewusst werden. Ich hoffe, ich kann die Vorstellung im Winter in Los Angeles wiederholen.« Und wieder das wundersame Lächeln, und sie beugte sich zu Enron und verpasste ihm die volle Dosis ihrer pheromonischen Lockstoffe.
»Ach so«, sagte Enron noch einmal, und Carpenter sah, wie wieder eine Jalousie herunterklappte und jegliches Interesse erlosch. Zweifellos war es möglich, dass der israelische Journalist Jolanda Bermudez auf die eine oder andere offensichtliche Art interessant finden mochte, doch im Moment hatte er offensichtlich genug von ihren diversen künstlerischen Unternehmungen gehört. Auch Carpenter fühlte sich ein wenig enttäuscht. Jolanda steckte so voller Leidenschaft und Energie, das war unübersehbar, gleichgültig, ob durch Drogen gesteigert oder echt, und die Vorstellung, sie könnte vielleicht tatsächlich eine begabte Künstlerin sein, hatte sie eine kleine Weile mit einer starken Aura von
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