Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
Genmaterial verändert zu haben wünschten?«
»Es besteht für mich keine Notwendigkeit, das zu diskutieren. Du sagtest, Vergangenes sollte vergangen sein.«
»Eine Notwendigkeit, nein, die besteht nicht. Aber ich möchte, dass du mit mir darüber sprichst. Ich empfinde keinerlei Rachegefühle, aber doch eine starke Wissbegier. Nein, eigentlich eine sehr starke Neugier. Es gibt Dinge, die ich von dir unbedingt über dich selbst erfahren möchte.«
»Und weshalb sollte ich mich dir gegenüber verantworten?«
»Weil du mir etwas Ungeheuerliches angetan hast«, sagte Farkas mit immer noch leiser Stimme, in der aber jetzt scharf wie eine Peitschenschnur eine Schärfe hörbar wurde. »Das gibt mir immerhin doch das Recht, ein paar Antworten aus dir herauszuholen. Sag mir was, aus bloßem menschlichen Mitgefühl. Du bist doch ein Mensch, oder nicht, Dr. Wu? Nicht ein seelenloses Ding, eine Art intelligenter Android?«
»Du wirst mich umbringen, nicht wahr, wenn ich meine Arbeit hier beendet habe.«
»Werde ich das? Ich weiß nicht. Ich sehe nicht, dass es mir was Gutes bringen könnte, und es erscheint mir als ziemlich erbärmlich unwesentlich. Aber falls du natürlich wünschen solltest, dass ich dich töte …«
»Nein. Nein!«
»Also dann?« Farkas lächelte. »Wenn ich dich wirklich töten wollte, Dr. Wu, dann hätte ich es in Valparaiso Nuevo getan. Ich bin nicht dermaßen absolut eine Kreatur von Kyocera-Merck, dass ich die Interessen der Firma so weit über meine eigenen Bedürfnisse stellen würde. Es ist also doch offensichtlich, dass ich es nicht nötig fand, dich zu töten, als ich die Chance dazu hatte. Ich begnügte mich vielmehr damit, den Auftrag auszuführen, zu dem ich dorthin gesandt wurde, und das war eben, dich nach Cornucopia zu liefern, damit du hier für die Firma gewisse Forschungen durchführst, für die du einzigartig qualifiziert bist.«
»Du hast deinen Auftrag ausgeführt. Ja. Es bedeutet dir sehr viel, ja, deine Arbeit zu machen. Und wenn die Firma mit mir fertig ist, dann wirst du mich töten. Das weiß ich, Farkas. Wozu sollte ich mit dir sprechen?«
»Um mir Gründe zu liefern, warum ich dich nicht töten sollte, sobald die Firma dich nicht mehr braucht.«
»Wie könnte ich das denn?«
»Also, sehen wir es uns doch mal an, ja?«, sagte Farkas. »Wenn es mir vielleicht gelänge, deine Seite damals bei dieser Sache etwas besser zu verstehen, wäre ich möglicherweise etwas geneigter, barmherzig zu sein. Zum Beispiel: Was hast du, während du deine Experimente in Taschkent an den Ungeborenen durchführtest, überhaupt gespürt, da drinnen, in deinem Herzen, was du da in deiner Arbeit getan hast?«
»Aber das ist alles schon so lange her.«
»Fast vierzig Jahre, ja. Einige deiner damaligen Versuchsföten sind inzwischen zu augenlosen erwachsenen Menschen geworden. Aber du musst dich doch noch ein wenig erinnern können, Doktor. Sag es mir, hast du irgendwann einmal kurz gezögert, hattest du irgendwelche Bedenken, als du dich daran gemacht hast, an mir im Bauch meiner Mutter herumzuexperimentieren? Eine Spur von ethischen Hemmungen? Oder Mitgefühl? Sag!«
Wu sagte dumpf: »Ich spürte nur eine ungeheure wissenschaftliche Neugier. Ich versuchte, etwas zu lernen, was zu entdecken wichtig schien. Man lernt, indem man tut.«
»Und verwendet dazu menschliche Versuchskaninchen.«
»Menschliche Versuchspersonen, ja. Es war nötig. Das menschliche Genom unterscheidet sich von dem der Tiere.«
»Ach, das ist doch gar nicht wahr. Nicht wirklich. Du hättest mit Schimpansenföten experimentieren können, dabei hättest du so ziemlich die gleiche Genstruktur gehabt. Das weißt du doch genau, Doktor.«
»Aber die Schimpansen hätten uns nicht verbal mitteilen können, welche Wahrnehmungserweiterung sie durch das Blindsehen gewonnen haben.«
»Ich verstehe. Das konnten nur menschliche Versuchstiere.«
»Genau.«
»Und während der chaotischen Zustände damals in Taschkent stand dir ja reichlich menschliches Versuchsmaterial zur Verfügung: Ungeborene Menschen im Mutterleib, äußerst gut geeignet für Genexperimente. Du konntest deine intensive wissenschaftliche Wissbegier befriedigen und warst dabei sehr glücklich. Trotzdem wäre es aber doch wohl ethisch korrekt gewesen, die Mütter dieser Ungeborenen um ihre Einwilligung in die Operation zu bitten, oder? Meine Mutter etwa hat nicht nur nicht eingewilligt, sondern sie war auch Ausländerin, noch dazu eine, die diplomatische
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