Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
Immunität genoss. Und trotzdem …«
»Was soll ich dazu sagen?«, jammerte Wu. »Dass ich dir etwas Furchtbares angetan habe? Ja. Ja, ich gebe es zu, ich habe etwas Entsetzliches getan. Ich habe im Krieg hilflose Menschen benutzt und missbraucht. Du willst, dass ich bekenne, dass ich böse bin? Dass ich meine Verbrechen bereue? Dass ich bereit bin, mich von dir töten zu lassen, für das Verbrechen, das ich an dir verübt habe? Ja. Ich gestehe, dass ich böse bin. Ich zerknirsche mich in Gewissensbissen. Ich fühle eine unerträgliche Schuld auf mir lasten, und ich weiß, dass ich Strafe verdient habe. Worauf wartest du also? Töte mich doch, gleich jetzt und hier! Los, Farkas, brich mir mein elendes Genick, damit es endlich vorbei ist!«
Die Zwanzigerin sagte unsicher von der Wand neben der Tür her: »Mister Farkas, es ist vielleicht nicht so gut, wenn diese Unterredung weiter fortgesetzt wird. Vielleicht sollten wir jetzt lieber gehen. Ich kann dich zu deiner Unterkunft bringen und …«
»Noch eine Minute«, sagte Farkas. Er wandte sich wieder Wu zu, der/die wieder in dumpfem Schweigen in sich zusammengesunken dasaß. »Kein Wort davon war dir ernst, nicht wahr, Doktor? Du bist bis zum heutigen Tag fest davon überzeugt, dass das, was du mir und den anderen damals in Taschkent angetan hast, im geheiligten Namen der Wissenschaft völlig gerechtfertigt war. Und du fühlst auch nicht einen Hauch von Bedauern in dir, stimmt es nicht?«
»Es stimmt. Und ich würde es wieder tun, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte«, sagte Wu.
»Aha. Ja, das dachte ich mir.«
»Also, nun weißt du, was du bereits wusstest. Willst du mich jetzt umbringen? Ich glaube, deine Leute von Kyocera-Merck wären nicht sehr erfreut, wenn du das tust.«
»Nein«, sagte Farkas. »Und ich werde dich auch nicht töten, nicht jetzt und nicht später. Ich wollte dich nur sagen hören, was du da gerade gesagt hast. Und nun will ich noch etwas von dir hören: Hat das, was du getan hast, dich irgendwie lustvoll befriedigt? «
»Lust? Befriedigung?« Wu sagte es höchst verblüfft. »Aber das habe ich doch nicht zu meinem Vergnügen getan. Lustgefühle hatten da nie etwas zu suchen. Es ging um Forschung, verstehst du nicht? Ich tat es, weil ich herausfinden musste, ob es möglich sein würde. Aber Lust? Das Wort ist hier fehl am Platze.«
»Ein reiner Techniker. Ein leidenschaftsfreier Sucher nach der Wahrheit!«
»Man kann mich nicht zwingen, mir deinen Spott anzuhören. Ich werde darum bitten, dass man dich von hier entfernt.«
»Aber ich verspotte dich ja gar nicht«, sagte Farkas. »Du bist wirklich integer, Doktor, wie? Sofern man Integrität definiert als Einzelkonsistenz, als unvermischte Substanz, als geschlossene Einheit. Du bist komplett und total, was du bist. Das ist gut. Ich verstehe dich jetzt sehr viel besser.«
Wu verhielt sich völlig bewegungslos, schien fast nicht zu atmen. Schimmernder schwarzmetallischer Kubus über einer kupferroten pyramidenförmigen Basis.
Farkas sagte: »Du warst also in keiner Weise irgendwie emotional beteiligt bei dem, was du mit mir getan hast. Du empfandest dabei keinerlei sadistische Lust. Wie du sagst, war da etwas, das du herausfinden musstest, also hast du ganz einfach getan, was nötig war, um deine Antworten zu finden. Und deshalb besteht kein Grund, weshalb ich die Sache persönlich nehmen sollte. Richtig? Ja? In deinen Augen existierte ich als Person ja niemals. Ich war nur eine Hypothese. Ein biologisches Rechenproblem, das zu lösen war, eine abstrakte intellektuelle Herausforderung. Und wenn ich von dir Rechenschaft fordern oder Rache üben wollte, von so etwas, wie du es bist, dann wäre es, als versuchte ich, mich an einem Wirbelsturm zu rächen, einem Erdbeben, einer Lawine oder einer sonstigen unpersönlichen Naturgewalt. Die treten ja auch einfach auf und machen mit einem, was sie eben tun, aber dabei sind sie völlig unpersönlich, und so gibt es keinen Grund, böse auf sie zu sein, wenn sie dich vernichten. Einem Hurrikan kann man ja auch schlecht verzeihen, oder? Die Erinnerung an das Geschehene bleibt in dir haften. Aber man muss sich eben zusammenreißen, sich den Staub von der Seele schütteln und sich sagen, dass man das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein, und einfach mit seinem Leben weitermachen.«
Dies war wohl die längste Rede, die Farkas je von sich gegeben hatte. Und als er zu Ende war, war seine Stimme heiser und rau, und er sehnte
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