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Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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indigoblaue Wälle, weißblaue Zinnen. Und es war ein Eisberg vom Trockendock-Typ, zwei hohe Flanken mit einer Mulde dazwischen, und er war etwa zweihundert Meter lang und ragte weit aus der See auf. Diesige Nebelvorhänge verbargen die Kanten, und das akustische System des Schiffs fing das krachende Sprudeln der Abschmelze auf, wenn kleinere Eisteile sich lösten und in die See glitten. Das ganze Gebilde bestand aus Gletschereis, also komprimiertem Schnee, und wenn das schmilzt, dann erfolgt das mit einem Zischen.
    Carpenter betrachtete den Berg andächtig. Er war sehr viel mächtiger als jene, die er in seiner Trainingssimulation zu sehen bekommen hatte. Die letzten paar Millionen Jahre hatte der Klotz gemütlich über dem Südpol gesessen und sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass er eines Tages so Richtung Hawaii driften würde. Aber die große Klimaverschiebung hatte für alle eine Menge geändert, auch für das antarktische Packeis.
    »Himmel«, sagte Hitchcock. »Schaffen wir das?«
    »Leicht«, sagte Nakata. Den kleinen wendigen Techniker schien nichts zu erschüttern. »Es wird 'ne Vierkrampensache, aber was soll's? Wir haben die Haken dafür.«
    Klar. Sie hatten ausreichend Krampen an Bord der Tonopah Maru. Und Carpenter hatte Vertrauen in das Können von Nakata.
    »Hast du gehört?«, sagte er zu Hitchcock. »Also holt ihn euch.«
    Sie standen dicht an der mittelpazifischen Kälteschwelle. Die See ringsum war blau, ein Anzeichen für warmes Wasser. Doch direkt westlich, wo der Eisberg schwamm, war die Färbung ein sattes dunkles Olivgrün, Anzeichen für die maritime Mikrowelt, die in Kaltwasser gedeiht. Die Demarkationslinie war deutlich sichtbar. Dies war eine der komischen Sachen, die die Klimaverschiebung mit sich gebracht hatte: Ein Großteil der Erde war nun höllisch heiß, aber da kam dieser kalte Meeresstrom aus der Antarktis, schnitt sich bis in den mittleren Pazifik vor und ließ Eisberge auf die Tropen zutreiben.
    Carpenter saß über seiner Triangulation, um zu berechnen, ob sie den Berg unter der Golden-Gate-Brücke durchschleppen konnten, als neben ihm Rennett auftauchte. »Da ist noch ein Schiff, Cap'n.«
    »Was sagst du da?«
    Aber er hatte sie nur zu genau verstanden.
    Ein Schiff? Carpenter starrte die Frau an. Er dachte, Los Angeles, San Diego, Seattle, und überlegte, ob er um seinen Eisberg würde kämpfen müssen. So etwas passierte gelegentlich, wie er wusste. Hier war Freigebiet, eine so ziemlich offene Zone der Gesetzlosigkeit, in der sich eine uralte Art von Piraterie erneut ganz scheußlich ausbreitete.
    »Schiff.« Rennett quetschte es seitlich aus dem Mundwinkel hervor, als täte sie ihm einen Gefallen, ihm überhaupt etwas zu sagen. »Genau auf der andern Seite von dem Berg. Caskie hat grad 'ne Nachricht aufgeschnappt. Sowas wie 'n SOS.« Sie reichte ihm einen schmalen Funkstreifen, auf dem nur ein paar Zeilen hellroter Thermoprintlettern waren. Die Worte griffen nach ihm, als fasste eine Hand durch das Deck. Er las laut:
     
    BRAUCHEN HILFE * PROBLEME AN BORD * GEHT UM LEBEN UND TOD * DRINGEND ERFORDERLICH DASS IHR AN BORD KOMMT * SCHNELLSTENS * KOVALCIK # INTERIMKAPITÄN CALAMARI MARU
     
    »Ach, Scheiß!«, sagte Carpenter. » Calamari Maru? Ist das ein Schiff oder eine zehnarmige Krake?«
    Ein ziemlich schwacher Witz, und er wusste es. Rennett reagierte nicht, nicht mit dem winzigsten Lächeln. »Wir haben die Registratur gecheckt. Der Eigner ist Kyocera-Merck und der Heimathafen ist Vancouver. Als Kapitän ist Amiel Kohlberg eingetragen. Keine Angaben über einen Kovalcik.«
    »Das klingt nicht nach 'nem Eisbergtrawler.«
    »Es ist ein Kalmarfischer, Cap'n«, sagte sie mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme. Als ob er das nicht wüsste. Er ging nicht darauf ein. Es kam ihm immer noch komisch vor, dass jeder, der zwei Tage länger auf See war als er, ihn wie eine dämliche Landratte behandelte. Was er allerdings tatsächlich war. Aber er kam damit zurecht. Bei der Bonusverteilung daheim in Frisco würde er den großen Kapitänsbrocken abbekommen, und sie eben nicht.
    Er sah wieder auf den Ausdruck. Dringend hieß es da. Geht um Leben und Tod.
    Mist. Mist-Mist-Mist!
    Alles sausen zu lassen, um sich der Schwierigkeiten eines fremden Schiffs anzunehmen, passte ihm gar nicht ins Konzept. Er wurde nicht dafür bezahlt, anderen Kapitänen aus der Patsche zu helfen, schon gar nicht denen von Kyocera-Merck. Von allen Firmen nicht gerade K-M! Ganz gewiss nicht

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