Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
war eine glatte senkrechte Wand, eine hohe weiße Klippe, porzellanglatt und gute hundert Meter hoch, mit einer bösen, ins Wasser vorgestreckten, etwa vierzig Meter langen Eiszunge wie ein Wellenbrecher. Auch die Calamari Maru benutzte sie dazu. Der Tintenfischfänger ankerte dicht hinter dieser Zunge.
    Es gefiel Carpenter gar nicht, dass ein anderes Schiff sich so dicht an seinem Berg eingenistet hatte. Doch der Kalmarfänger war nur für seine Spezialaufgabe ausgerüstet und besaß keine Greifer und war also wohl kaum eine Bedrohung für seinen Berg.
    Er gab Nakata, der weit vorn auf dem Vorschiff bei seinem Schaltbrett stand, ein Zeichen.
    »Haken frei!«, rief Carpenter. »Und los! Los!«
    Nakata winkte bestätigend zurück und legte die Hände auf die Steuertasten. Und eine Minute später erklang das Ächzen der sich öffnenden Greiferluke und das Rumpeln der Greifergestänge. Irgendwo tief im Bauch des Schiffs bewegte sich eine gigantische Mechanik in Position. Der große Eisberg lag reglos in der stillen See.
    Es war ein wenig ähnlich wie in der Hochseefischerei, der Trick war nicht so sehr, die Beute an den Haken zu kriegen, sondern später in der Geschicklichkeit beim Einholen.
    Der ganze Schiffsrumpf bebte, als der erste Haken in Sicht kam. Er schwebte hoch oben, ein erschreckendes Krallending, schwarz vor dem leuchtenden hellen Himmel, den es halb verdeckte. Dann drückte Nakata erneut auf seine Tasten, und der Greifer, am höchsten Punkt seiner Kurve angelangt, fuhr scharf und wuchtig abwärts auf die Flanke des Bergs zu.
    Der Haken traf, schlug ein und hielt. Der Berg wich zurück, bebte, schwankte. Von den oberen Graten polterten Schauer von losem Eis nieder. Als sich die Wucht des Einschlags in die große Eismasse unter der Wasserlinie ausbreitete, wälzte sich die ganze Masse etwas weiter vornüber, als Carpenter erwartet hätte, und gab ein hässliches Schmatzen über dem Wasser von sich, und als der Berg wieder zurückrollte, schoss ein zwanzig Meter hoher Geysir empor.
    Den armen Hunden an Bord des Kalmarschiffs würde das gar nicht gefallen. Aber sie hätten ja nicht dort vor Anker bleiben müssen, während ein Eisbergfang im Gang war, nicht wahr? Was hatten die denn erwartet? Einen kleinen Spritzer oder zwei?
    Drunten am Bug machte Nakata seine ›Ich-hab-dich-Geste‹, einen ausgestreckten Mittelfinger über der Faust.
    Vom Berg her wehte ein kalter Wind. Es war wie der Atem eines riesenhaften wunden Tieres, ein Hauch wie aus uralter Zeit, ein Hauch, der nach Fossilem roch.
    Sie fuhren ein Stück weiter die Bergflanke entlang.
    »Harpune Zwei!«, befahl Carpenter.
    Der Berg war mittlerweile fast wieder stabil. Anscheinend war da mehr Masse unter Wasser, als sie angenommen hatten. Aber sie würden es schaffen. Carpenter auf seinem Beobachtungsposten im Kontrollturm an der Achterreling wartete auf das hochsteigende Gefühl von Freude und Erleichterung, das sich, wie alle ihm versichert hatten, nach der erfolgreichen Inbesitznahme einstellen sollte, doch da war nichts. Er verspürte einzig einen ungeduldigen Drang, rasch alle vier Haken anzubringen und zum Golden Gate zurückzuskippern.
    Die zweite Harpune flog hoch, schwebte, senkte sich, traf und biss sich fest.
    Wieder klatschte der Berg aufs Wasser, und wieder schoss schäumend das Wasser auf. Carpenter sah nur kurz, wie das andere Schiff auf und ab tanzte wie ein treibender Korken, und er überlegte, ob die Eiszunge, die die da drüben so angenehm gefunden hatten, abbrechen und sie ersäufen würde. Sie hätten weit klüger daran getan, anderswo zu ankern. Ach, zum Teufel mit ihnen. Er hatte sie gewarnt.
    Der dritte Haken war einfacher.
    Jetzt nur noch einen.
    »Vier!«, rief Carpenter. Ein Vierer-Berg war etwas Besonderes. Massenhaft Gelegenheit, dass dabei die Leinen rissen oder sich die Trossen verhedderten. Aber Nakata beherrschte seinen Job. Noch einmal flog die Eisenkrampe durch die Luft, diesmal in steilem Bogen über die Spitze des Bergs auf die andere Seite, und dann hatten sie ihn, ihren Berg, dieses ganze monströse Eiland von treibendem Eis, fest an der Trense und gut verschnürt. Und jetzt brauchten sie nichts weiter zu tun, als den Berg mit Spiegelstaub einzupudern, ihm an der Wasserlinie einen Plastikschurz zu verpassen, um die Erosion zu verlangsamen, und ihn dann nach San Francisco zu schleppen.
    So, alles in Ordnung, dachte Carpenter.
    Und nun endlich hatte er ein wenig Zeit, sich mit dem verdammten Krakenschiff und seinen

Weitere Kostenlose Bücher