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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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    Buddy verdrehte die Augen. »Kinder! Sie machen uns das Leben schwer. Wir sehen uns am Donnerstagabend, Ellen.«
    »Bitte«, sagte Lydia. »Bitte überweisen Sie meine Mutter. Wenn Sie ihr keine Überweisung mitgeben, bekommt sie die Untersuchung nicht.«
    »Und ich schreibe keine Überweisung, weil Ihrer Mutter nichts fehlt. Und jetzt auf Wiedersehen.«
    Lydia verließ das Behandlungszimmer. Ein Arzt mit jahrzehntelanger Erfahrung sagte, ihrer Mutter fehlte nichts. Aber sie wusste, dass er sich irrte. Nur konnte er sich nicht dazu bringen, es zu sagen, weil er sonst aus dem Quizteam rausgeworfen wurde. Seit dem Tod seiner
Frau war er einsam. Die Donnerstagabende bedeuteten ihm eine Menge.
    Was sollte Lydia tun? Warten, bis es mit ihrer Mutter schlimmer wurde, und es dann wieder versuchen?

    Und tatsächlich wurde es schlimmer. Sie war immer eine gute Hausfrau gewesen und hatte stets auf Reinlichkeit geachtet, aber praktisch über Nacht gab sie alle Haushaltspflichten auf. An einem eiskalten Sonntag kam Lydia bei ihr an und fand sämtliche Töpfe und Pfannen und Teller und Tassen, die ihre Mutter besaß, schmutzig im Spülbecken vor. Und es roch – roch irgendwie übel. Schlecht gewordenes Fleisch oder etwas Ähnliches. Herrgott! Und man konnte mit ihr nicht darüber sprechen. Es war wie in Invasion der Körperfresser . Man konnte denken, ihre Mutter wäre gegen ein anderes Wesen ausgetauscht worden. Und Ronnie und Murdy verweigerten rundweg jede Hilfe. Es machte sie sprachlos, absolut sprachlos, dass sie bereit waren, ihre Mutter in diesem Dreck leben zu lassen. Schlimmer noch aber war, dass der Zustand des Hauses ihrer Mutter nichts auszumachen schien. Ja, es schien ihr nicht einmal aufzufallen.
    Um Schlimmeres zu verhüten, fuhr Lydia alle fünf, sechs Tage von Dublin zu ihrer Mutter und schuftete wie eine Furie, um alles sauberzumachen.
    Furie trifft es genau. Jetzt verstehe ich auch, warum sie sich weigerte, in Dublin abzuwaschen. Allerdings scheint das Andrej und Jan gegenüber, den Armen, nicht fair. Aber es ist nicht meine Aufgabe zu urteilen. Oder doch …?
    Als Nächstes verlor Ellen die Fähigkeit zu rechnen. Das war nicht durchgängig so, an manchen Tagen klappte
es hervorragend, aber an anderen Tagen verlor sie den Überblick über die Dezimalstellen, was verheerende Wirkung hatte, denn ein Fünfeuroschein war plötzlich wie ein Fünfzigeuroschein. Sehr schlecht, wenn man Taxifahrerin war und mit Geld zu tun hatte. Es kam zu heftigen Disputen, wenn Ellen einem Fahrgast zu viel berechnete. Ebenso schlimm war es aus Lydias Sicht, wenn Ellen auf hundert Euro herausgab, obwohl sie nur zehn Euro bekommen hatte. (Flan Ramble war über diese Schwäche von Ellen besonders erfreut. »An dem Abend hätte ich glatt neunzig Euro absahnen können. Aber ich bin ja eine ehrliche Haut. Obwohl, in der Stadt sind plötzlich ein paar Leute, die in den Pubs Getränke spendieren.«)
    Dann hörte Ellen auf, ihre Rechnungen zu bezahlen. Weil sie ihre Unterschrift nicht mehr geben konnte. Weil sie nicht mehr genau wusste, wer sie war. (»Heiße ich wirklich so, Lydia? Irgendwie kommt es mir falsch vor.«)
    Lydia unterrichtete ihre Brüder von jedem neuen Problem, sie legte es ihnen vor die Füße, wie es eine Katze mit einer toten Krähe tat, und jedes Mal hatten ihre Brüder andere Argumente, mit denen sie ablenkten: Lydia dramatisiere die Dinge. Ellen sei in den Wechseljahren. Die Pflege einer kranken Frau sei Frauenarbeit.
    »Du solltest wieder nach Boyne ziehen und dich um sie kümmern«, sagte Raymond. »Du bist als Einzige ungebunden.«
    »Ronnie ist auch ungebunden!«
    Aber Ronnie war ein Mann.
    Die meisten wachen Stunden verbrachte Lydia in einem zehrenden Zorn. Sie war sechsundzwanzig Jahre
alt, sie sollte nicht diese Sorgen haben, es war alles ganz falsch. Sie war die Jüngste in der Familie, das einzige Mädchen, ihre Brüder sollten sie eigentlich verhätscheln und verwöhnen. Mistkerle.
    Hin und wieder, wie zur Abwechslung, tauschte sie das mörderische Gefühl von Wut gegen quälende Angst, weil sie sich solche Sorgen machte und panikartig auf Ellens nächste Absonderlichkeit wartete, ohne die leiseste Ahnung, was es sein würde noch wann sie auftreten würde. Nur die Gewissheit, dass früher oder später etwas passieren würde, was auch ihre Brüder nicht ignorieren konnten, verhinderte, dass sie nicht ausflippte.
    Sicher, vor ein paar Wochen hatten die Küchenvorhänge Feuer gefangen, und es hatte

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