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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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man weiß, dass man schläft, aber nicht aufwachen kann.
    »Wach auf und riech mal – Oh, nein!« Matt stellte die Kaffeebecher ab und eilte zu Maeve. »Langsam atmen«, sagte er angespannt. »Langsam atmen. Es ist alles in Ordnung. Du stirbst nicht. Es ist nur ein Moment der Panik.«
    Er legte ihr den Arm um die Schultern, um ihr tröstliche körperliche Nähe zu geben, ohne dabei ihre Atmung zu blockieren. »Durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen, so ist es richtig.«
    Früher einmal hatte Maeve versucht, das Entsetzen zu beschreiben, von dem sie bei einer solchen Attacke gepackt wurde. »Stell dir vor, du bist im Kofferraum eines Autos eingesperrt, zusammen mit einem Hund, einem von diesen Kampfhunden, dem man Speed gegeben hat. So ähnlich fühlt es sich an.«
    »Ruhig atmen«, sagte Matt wieder. »Alles ist in Ordnung, du bist in Sicherheit, du stirbst nicht. Durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen.«
    Nach zehn oder fünfzehn Minuten, in denen sie keuchend ein- und ausgeatmet hatte, sagte Maeve: »Ich glaube, es geht wieder.« Und im nächsten Moment brach sie in Tränen aus. »Oh, Matt, es tut mir so leid.«
    »Es ist in Ordnung, es ist ganz in Ordnung. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«

    »Es ist so lange her seit dem letzten Mal. Ich dachte, es ginge jetzt besser.«
    »Es ist wahrscheinlich eine Ausnahme«, sagte Matt.
    »Glaubst du?«
    »Ja.«
    Aber er glaubte es nicht.

SIEBENUNDDREISSIG TAGE
    Lydia wusste noch, dass der Verfall ihrer Mutter durchaus harmlos begonnen hatte. Eines Abends vor ungefähr anderthalb Jahren hatte Ellen bei Lydia angerufen und ihr in vielen Einzelheiten von einer Beerdigung im Ort erzählt: von den eleganten Schuhen der Witwe, dem schmuckvollen Sarg und dem verwirrten alten Priester, der den Verstorbenen immer wieder beim falschen Namen nannte. In Boyne zählte eine Beerdigung als unterhaltsamer Zeitvertreib, während man auf die Planungserlaubnis für das neue Kino wartete, und Lydia hörte nur mit halbem Ohr zu und ließ ihre Mutter reden. Am Tag danach hatte ihre Mutter wieder angerufen – an sich schon ungewöhnlich, normalerweise sprachen sie nur einmal in der Woche miteinander –, und während sie über dies oder jenes redeten, schaltete Lydia ab und fing an, sich die Zehennägel zu lackieren. Ihre Aufmerksamkeit war so vermindert, dass es eine Weile dauerte, bis sie bemerkte, dass sie dieses Gespräch schon kannte.
    »Antoinette O’Mara«, sagte ihre Mutter. »Ja, sogar an diesem traurigen Tag – denn sie und Albert haben sich wirklich geliebt, was immer die Leute über ihn und diese Frau aus Trim erzählen –, an diesem traurigen Tag war
sie wie eine Modepuppe ausstaffiert. Ihre Schuhe, Lydia, so schöne Schuhe –«
    »Moment mal, ich weiß –«
    » – schwarz natürlich, das mussten sie ja sein, aber so ein weiches Leder und mit einem richtig hohen Absatz. Man hätte denken können, für eine Beerdigung würde sie sich praktischer anziehen, aber sie ist eine Dame, bis in die Fingerspitzen. Und –«
    »Ich weiß doch –«
    » – und auch als der alte Vater Benedict immer einen falschen Namen für Albert sagte, hat sie nicht mit der Wimper gezuckt. ›Unser Bruder Horace ist ins Reich Gottes eingegangen.‹ Die Mitglieder der Gemeinde sahen sich gegenseitig an und meinten: ›Das ist ja alles schön und gut, das mit dem Horace, wer er auch sein mag, aber was ist mit dem armen Albert O’Mara? Ist der auch in das Reich Gottes eingegangen?‹«
    »Ich weiß, Mum, das hast du mir gestern Abend erzählt.«
    »Wann, gestern Abend?«
    »Gestern Abend am Telefon.«
    »Gestern Abend habe ich gar nicht mit dir telefoniert.«
    Das war der Anfang.

    Aber natürlich war es nicht der Anfang. Es ging schon eine Weile so – Lydia war sich nicht ganz sicher, wie lange, vielleicht zwei Jahre, vielleicht auch länger –, aber dies war das erste Mal, dass es ihr auffiel, und dann kamen ihr Erinnerungen an andere Momente: als sie einmal die Uhr ihrer Mutter tief in der Zuckerdose vergraben
gefunden hatte, oder als ihre Mutter einmal von »dem Ding, mit dem man sich den Mund saubermacht,« sprach, weil ihr das Wort »Zahnbürste« nicht eingefallen war, die Male, wenn ihre Mutter sie Sally nannte. (Sally, die jüngere Schwester der Mutter, war mit dreiundzwanzig Jahren gestorben.)
    Jedes Mal war Lydia aufgebracht und irritiert gewesen, besonders über die Sache mit Sally – »Hör auf damit, Mum, du machst mich ganz nervös. Sie ist tot !« –, aber

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