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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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das hier war anders. Diesmal hatte Ellen das ganze Gespräch vergessen, und das hatte Lydia aufgerüttelt.

    »Mum, das kannst du nicht vergessen haben! Wir haben Ewigkeiten miteinander telefoniert.«
    »Lydia, was soll ich sagen … Vielleicht verwechselst du es mit einem anderen Mal …«
    »Meinst du das andere Mal, als Albert O’Mara gestorben ist und seine Freundin aus Trim zur Beerdigung kam, ganz in Schwarz und mit einem gepunkteten Schleier.«
    »Woher weißt du das?«
    »Du hast es mir erzählt . Gestern Abend . Am Telefon .«
    »… Ich … eh …«
    Sie waren beide perplex und blieben stumm.
    Ich bin die Tochter, dachte Lydia, merkwürdig verletzt. Du bist die Mutter. Ich darf dich wochenlang vernachlässigen und versäumen, dich anzurufen, und du, du musst dich unbändig freuen, mich zu sehen, und extra meinetwegen Schokolade einkaufen und mir die Füße kitzeln, und du darfst mir keinen Anlass zur Sorge geben.

    Schließlich machte Lydia ein Friedensangebot. »Hast du bei der Beerdigung getrunken, Mum? Vielleicht erinnerst du dich nicht, weil du einen Schwips hattest?«
    »Ich hatte keinen Schwips.«
    »Was hast du denn getrunken?«
    »Zwei Baileys.«
    Lydia fand das glaubhaft. Ellen hatte keine Übung im Alkoholtrinken, nach zwei Gläschen bekam sie ein rotes Gesicht und fing an zu schwanken. Dann kam Lydia ein schrecklicher Gedanke. Vielleicht nahm Ellen seit neuestem Beruhigungsmittel. »Gott, Mum, du nimmst doch nicht irgendwelche Tabletten, oder?«
    »Um Himmels willen, ich nehme noch nicht mal ein Aspirin!«
    Das stimmte, und zudem hatte sie ein stoisches Naturell, mit dem sie dreißig Jahre Ehe mit Auggie Duffy und seinem Funkgerät, seinen hochfliegenden Plänen und katastrophalen Unternehmungen ausgehalten hatte. Ein Valium hätte da gar nichts ausgerichtet, es hätte sich einfach hingelegt und geweint.
    »Also, mir reicht’s«, sagte Lydia. »Wenn wir das nächste Mal sprechen, versuch bitte, nicht so verrückt zu sein.«
    Sie legte auf und vergaß das Gespräch im nächsten Moment.
    Aber es ging ihr wieder durch den Kopf, in den kurzen Pausen, wenn sie zu lang an einer roten Ampel warten musste oder sich mit einer schrecklichen Fuhre zu Tode langweilte. Die Uhr in der Zuckerdose. Die Milch in der Mikrowelle. Ein Loch in ihrer Erinnerung, wo das Gespräch über Antoinette O’Maras Beerdigungsschuhe sein sollte.

    Was konnte das bedeuten?
    Vorsichtig forschte sie bei ihren Brüdern nach. »Meinst du, Mum verliert langsam den Verstand?«, fragte sie.
    »Mum? Meinst du Ellen Duffy? Ellen Duffy, unsere Mutter? Sie ist im Vollbesitz all ihrer Kräfte und wird uns alle überleben.«

    Dann kam das erste Mal ein Anruf von Flan Ramble.
    »Wer? Ach, Mr. Ramble, ein paar Häuser weiter?« Lydia hatte sofort ein beklommenes Gefühl. Flan Ramble verabscheute sie, hatte sie schon immer verabscheut, seit sie ein kleines Mädchen war und über die Haare gelacht hatte, die ihm aus den Ohren wuchsen, er rief also nicht an, um zu plauschen
    »Ich will nicht lange drum herumreden, Lydia. Gestern Nacht ist deine Mutter auf Wanderschaft gegangen. Man hat sie im Nachthemd auf der Mullingar Road aufgelesen und im Polizeiauto nach Hause gebracht.«
    »War das Schlafwandeln?«
    »Man könnte es so nennen … nur, dass sie wach war.«
    »Wachwandeln, dann?«
    »Sie war verwirrt.«
    »… Ich …« Es war höchst seltsam. Obwohl sie halb mit einem solchen Anruf gerechnet hatte, war sie, nun ja, sie war überrascht. Ihre Mutter war eigentlich keine egoistische Person, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte.
    »Lydia, trinkt sie?«
    »Nein.«
    »Dann verliert sie wohl den Verstand.«
    Aber ihre Mutter war erst fünfundsechzig, viel zu jung,
um den Verstand zu verlieren. Und Lydia war zu jung, um sich um eine schwachsinnige Mutter kümmern zu müssen. Irgendwann, in einer sehr fernen Zukunft, könnte es passieren, dass Mum ein bisschen altersschwach und verschrumpelt sein würde. In den seltenen Momenten, wenn Lydia sich diese Möglichkeit vorstellte, kam ihr das Bild von einem kleinen herunterklappbaren Sitz in der Dusche in den Sinn. Ein Mann würde kommen und ihn einbauen. Aber das war Jahrzehnte entfernt.
    »Wenn sie den Verstand verliert«, sagte Flan Ramble mit einem warnenden Unterton in der Stimme, »sollte sie nicht mehr Taxi fahren.«

    »Unsere Mutter ist die fähigste Frau, die ich kenne.«
    »Das war sie mal, Murdy, aber sie ist es nicht mehr. Das versuche ich dir zu erklären. Etwas hat sich verändert.

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