Der hellste Stern am Himmel
bisschen.« Sie schwieg. »Ich bin neugierig, glaube ich.« Plötzlich war sie verunsichert: »Aber Sie haben nicht überall schlaffe Haut und sehen alt aus, oder? Ich bin straffe junge Typen gewöhnt.«
»Ich bin zweiundvierzig, nicht zweiundachtzig. Ich habe gute Gene. Und einen Personal Trainer.«
»Aber Sie essen lauter Schrott.«
»Ich habe einen hervorragenden Stoffwechsel.«
»Gut, Hauptsache, es ist nicht wie in Die Nacht der lebenden Toten .«
»Vergessen wir es. Sie wollen es eigentlich nicht –«
»Nein, ich will schon.« Dann fügte sie hinzu: »Glaube ich zumindest.«
Plötzlich zog er sie zu sich, und seine Lippen berührten ihre. Er roch anders. Erwachsener. Gilbert war ein
guter Typ für modisches Aftershave, das ihn wie eine duftende Wolke umgab, mit einer Basisnote und einer Kopfnote und weiß der Himmel was noch. Andrej roch nach Männerkörper und Schweiß und Gier. Aber Conall … er roch nach elegantem Leben. Nach altem Leder und Holzfeuer und Parkettböden. Er roch nach Geld. Und nach Eis, aber das nur flüchtig.
Lydia wartete. Sie beobachtete ihre Reaktion. Ja, es funktionierte. Der Geruch seiner Haut, seine heiße Hand auf ihrer Taille.
»Sie haben das schon öfter gemacht«, sagte sie, als sie sich voneinander lösten.
»Und Sie …«, sagte er langsam, »… Sie auch.«
Jetzt stand es also fest: Sie fand ihn zweifellos attraktiv.
Ihre Herzen schlagen nicht im Einklang. Lydias Herzschlag kommt eine Nanosekunde nach Conalls, so dass das Ende ihres Herzschlags in den Anfang von seinem fällt. Aber es ist ein interessanter, überlappender Rhythmus – in vielerlei Hinsicht ist er verführerischer als völlige Harmonie. Faszinierend.
FÜNFUNDZWANZIG TAGE …
»Guten Abend«, sagte Jemima. »Celtic Psychic Line.«
»Mystic Maureen?«
»Am Apparat, meine Liebe.«
»Aha! Sie sind es wirklich! Ich erkenne Ihre vornehme Stimme. Ich musste mit sage und schreibe zwölf
sogenannten Maureens sprechen, bis ich jetzt Sie gefunden habe.«
Ja, Jemima musste zugeben, dass die Firma gern die Illusion erweckte, es gäbe nur eine weise alte Frau bei Celtic Psychic Line statt mehrerer äußerst schlecht bezahlter Frauen, die von ihrem eigenen Telefon aus in Schichten arbeiteten.
»Ich habe so oft angerufen und wollte mit Ihnen sprechen, und immer bin ich an diese Lügner geraten, die von nichts eine Ahnung haben. Ich dachte schon, ich würde Sie nie finden. Ich dachte, Sie wären vielleicht inzwischen gestorben.«
Jemima hatte ihre Stundenzahl drastisch zurückgeschraubt. Der Grund dafür war Fionn. Ihn zu den Drehterminen zu begleiten, seine wilden Frauengeschichten einzudämmen und die Feindschaft zwischen ihm und Grollo in Schach zu halten, hatte ihre ganze Kraft beansprucht.
»Ich habe Sie vor gut einem Monat angerufen, und alles, was Sie vorausgesagt hatten, ist eingetreten.«
»Falls es glückliche Ereignisse waren, die ich vorausgesehen habe, freue ich mich sehr. Aber ich habe keine hellseherischen Fähigkeiten. Das gibt es nicht.«
»Ich heiße Sissy. Erinnern Sie sich an mich? Sie haben gesagt, ich würde in der Schlange am Fahrkartenschalter in BusAras einen Mann kennenlernen.«
»Ich versichere Ihnen, dass ich das bestimmt nicht gesagt habe. Ich würde nie eine so präzise Angabe machen. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie mir einen kurzen Überblick über Ihr Leben gegeben, und darauf habe ich Ihnen geraten, sich die Haare zu kämmen, den
Menschen zuzulächeln und zu versuchen, hinter die Fassade zu blicken. Auf den ersten Blick könnte ein Mann wie … Ihr Ausdruck war, wie ein Potenzprotz erscheinen, wenn ich mich recht erinnere, und sein Haar könnte, so nannten Sie es, abartig sein –«
»Sie sagten, ein gutes Herz würde unter seinem scheußlichen orangefarbenen Kapuzenpullover schlagen.«
»Ich sagte, ein gutes Herz könnte unter seinem scheußlichen orangefarbenen Kapuzenpullover schlagen. Ich habe nichts versprochen. Ich habe lediglich eine offene Haltung empfohlen.«
»Woher wussten Sie, dass er einen scheußlichen orangefarbenen Kapuzenpullover tragen würde?«
»Ich wusste es nicht. Es war Ihre eigene Beschreibung. Ich bin achtundachtzig Jahre alt. Was weiß ich schon von Kapuzenpullovern?«
»Sie sagten BusAras. Ich würde ihm dort begegnen.«
»Ich erinnere mich, dass wir darüber sprachen, dass Sie häufig am Wochenende mit dem Bus zu Ihrer Familie fahren. Ich sagte, und ich glaube das auch, dass Bahnhöfe gute Orte sind, an denen Liebesgeschichten
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