Der hellste Stern am Himmel
einem weißen Lieferwagen die Seite aufgerissen, dessen Fahrer sie mit einem Schwall von Beschimpfungen, noch dazu in einem starken Cavan-Akzent, übergoss. Beschimpfungen konnte sie aushalten, sie war es gewohnt, beschimpft zu werden, aber in einem Cavan-Akzent beschimpft zu werden – das ging zu weit. An uns Taxifahrern, dachte sie finster, lassen alle anderen ihre Wut aus. Wir sind für sie die Prügelknaben.
Aber vielleicht sollte sie sich erst einmal beruhigen, bevor sie einen neuen Fahrgast suchte. Als sie eine Lücke am Straßenrand fand, parkte sie und rief ihren Bruder Ronnie an, und im nächsten Moment wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Novosibirsk!
NEUNUNDFÜNFZIG TAGE …
So brutal Dannos Analyse von Katies Beziehung mit Conall auch war, Katie musste doch zugeben, dass er Recht hatte. Ich bin selbst schuld, gestand sie sich ein. Vom ersten Moment an waren die Warnzeichen unübersehbar gewesen. Nach der Anfangskatastrophe, dachte
sie finster, hätte sie gleich einen Rückzieher machen sollen.
Die erste Verabredung war eine so aufgebauschte Sache. Conall hatte ihr eine Mappe mit Reisedokumenten gegeben. »Morgen holt ein Auto Sie um zwölf Uhr ab. Um zwei geht das Flugzeug nach Heathrow.«
»Und was dann?«
»Alles wird sich nach und nach herausstellen.«
»Können wir nicht was Normales machen und hier irgendwo zum Essen ausgehen?«
Er lachte. Er dachte, das sei ein Witz.
»Was soll ich für diese geheimnisvolle Tour denn anziehen? Denn wenn Wanderstiefel und eine Mütze mit Ohrenklappen erforderlich sind, komme ich nicht mit.«
Wieder lachte er. Er fand jeden Satz, den sie sprach, unwiderstehlich. »Ein Kleid. Förmliche Kleidung.«
Halbwegs verzweifelt sagte sie: »Ich muss mehr wissen.«
»Wirklich, Sie sehen in allem, was Sie tragen, fantastisch aus.«
»Ich meine es ernst. Wenn Sie mir nicht mehr sagen, kann ich nicht mitkommen.«
»Also gut. Ein schwarzes Kleid. Hohe Schuhe. Eine kleine nutzlose Tasche.«
Sie eilte nach Hause und warf den Inhalt ihres Kleiderschranks aufs Bett. Das schwarze Kleid war nicht das Problem, davon hatte sie Dutzende, die außer ihr kaum jemand voneinander unterscheiden konnte. Wenigstens hatte er nicht gesagt, sie sollte etwas Gewagtes tragen. Sie hatte sich nie aus Überzeugung modisch gewagt gekleidet,
auch nicht, als sie in dem richtigen Alter dafür war (zwischen sechzehn und zweiundzwanzig). Es lag an ihrem Brustumfang, dass sie in Sachen, die trendig waren, lächerlich aussah. Wenn sie zum Beispiel einen Haarreif mit Strass trug, sah sie aus wie die zurückgebliebene Tochter, die noch mit neunundvierzig bei ihren Eltern lebte.
Als ihre ganze Garderobe vor ihr lag, war sie entsetzt von der Menge der gut geschnittenen, klassischen Sachen, die sie besaß. Sie war wie eine Französin! Verdammt! Sie wollte nicht wie eine Französin sein. Sie dachte nicht wie eine Französin. Lieber wäre sie eine New Yorker Type aus Großstadtsklaven , mit rot-schwarzgeringelter Strumpfhose, Doc-Martens-Stiefeln und Denim-Shorts, aber dafür musste man dünn sein, sehr, sehr dünn.
Zum Glück gab es Schuhe und Handtaschen. Auch wenn ihr Kleid eher klassisch sein würde – ihre Schuhe und Handtaschen waren eindeutig hip. Außerdem passte sie wieder in Jeans. Als Jason und sie es sich in ihrem häuslichen Leben gemütlich gemacht und nichts als Apfeltörtchen gegessen hatten, war sie viel zu pummelig für Jeans geworden. Dann hatten sie sich getrennt, und das war eine schreckliche Zeit gewesen, aber wenigstens hatte sie fünfzehn Kilo abgenommen, und das war ein Vorteil.
Für die geheimnisvolle Verabredung mit Conall entschied sie sich schließlich für ein streng geschnittenes (natürlich schwarzes) Kleid, das die Hüften schmaler und den Bauch flach erscheinen ließ. Für den Flug verhüllte sie es mit einer weiten Jacke – und mit einer kräftigen
Portion Empörung: Es war peinlich, mitten am Tag – allein – in einem schicken Kleid und schicken Schuhen in ein Flugzeug steigen zu müssen. Die Leute würden sie womöglich für eine geistig Verwirrte halten, wie eine von diesen alten Herzoginnen, die mit Tiara und im Morgenmantel ihre Sachen zur Reinigung brachten.
Als sie in Heathrow ausstieg, wartete ein Mann mit einem Schild, auf dem ihr Name stand. Er führte sie eine geheime Treppe hinunter, und sie konnte in ihrem Rücken die anklagenden, eifersüchtigen Blicke der anderen Passagiere aus ihrem Flugzeug spüren. »Was die wohl vorhat?«, hörte sie
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