Der hellste Stern am Himmel
möchte in der Bar sitzen, Rotwein trinken und meiner Schwester und meinen Freundinnen mitteilen, was für ein irrer, verrückter Kerl Sie sind.«
Er schluckte. »Möchten Sie, dass ich Ihnen Gesellschaft leiste?«
»Nein.«
NEUNUNDFÜNFZIG TAGE …
Was Lydia mag (ohne bestimmte Reihenfolge):
Chips
Städtenamen, die mit »sk« enden
(wie Gdansk, Murmansk)
Ihre Mutter
Gilbert. Vielleicht.
Anmerkung: Diese Liste ist vollständig.
Lydias Tag war keineswegs besser gewesen. Jede Fahrt mit einem Fahrgast war ärgerlicher als die davor. Kurz nacheinander hatte sie Fahrgäste, die »Man bedankt sich«, »Herzlichen Dank«, »Dank dir«, »Muchas gracias« und »Merci beaucoup« sagten – und alle fünf fragten nach einer Quittung. Sollten ihre Qualen gar kein Ende haben? Doch diese Nervensägen waren nichts im Vergleich zu einem amerikanischen Touristen namens Buchanan, der ihr das amerikanische Wahlsystem erklärte und jeden Satz mit »Folgendes« einleitete. Sie wollte ihn mit ihrer Frage über Jesus Christus, den Erlöser, zum Schweigen bringen (ihr war aufgefallen, dass die Leute viel verschreckter waren, wenn sie »Jesus Christus, der Erlöser« sagte statt nur »Jesus Christus«), aber er hatte Jesus Christus, den Erlöser, tatsächlich als Herrn und Retter für sein Leben erkoren und war nicht dagegen, sich ausführlich darüber zu unterhalten. Der Schuss war also nach hinten losgegangen!
Der Verkehr war grauenvoll. Auf ihren Fahrten wurde
Lydia von roten Ampeln, Bauarbeiten, über die Straße hastenden Fußgängern und, das Schlimmste überhaupt, von Schülerlotsen aufgehalten. Als sie schließlich Feierabend machte, hoffte sie, dass die jungen Männer nicht im Haus sein würden.
Aber die jungen Männer waren da. Auch Jan hatte einen schlimmen Tag gehabt. Eine Frau in Enniskerry hatte statt Weißweinessig in ihrer Lieferung Estragonessig bekommen, während eine Frau in Terenure, deren ganzes Leben von Estragonessig abzuhängen schien, Weißweinessig erhalten hatte. Es war eine Katastrophe, und Jan war schuld daran.
Jan berichtete gerade über die Vorwürfe, die er sich hatte anhören müssen, als Lydia missgestimmt und erschöpft ins Haus kam. Sie sah die beiden im Wohnzimmer sitzen und blieb auf der Schwelle stehen.
»Herr im Himmel!«, rief sie. »Ich habe noch nie ein so miesepetriges Paar wie euch zwei gesehen. Was ist passiert?«
»Wir sind griesgrämig«, sagte Jan, fast glücklich. Wie nützlich doch dieses Wort »griesgrämig« war. Griesgrämig, griesgrämig, griesgrämig.
»Warum?«
»Ich habe eine Bestellung vertauscht. Ich habe zwei Frauen falschen Essig geschickt. Meine Chefin, sie ist ausgerastet. Ich habe Anschiss bekommen.«
Lydia sah ihn überrascht an. »Meine Güte, Jan, dein Englisch wird täglich besser.«
»Danke.« Er lächelte mit verhaltenem Stolz.
»Und du, Andrej, warum bist du so griesgrämig?«
Andrej sagte nicht, was er dachte, denn die Wahrheit wäre gewesen: »Ich bin griesgrämig, weil ich mit dir in einer Wohnung wohnen muss.«
Er zuckte die Schultern. »Ich bin nicht in dieses Land gekommen, um glücklich zu sein. Ich bin gekommen, um Geld für meine Familie zu verdienen. Ich erwarte nicht, dass ich glücklich bin.«
»So kann man doch nicht leben.« Aber wer war sie schon, dass sie so redete. Sie war aus der schönen Wohnung, die sie mit Sissy geteilt hatte, ausgezogen und wohnte jetzt in diesem Loch. Sie arbeitete siebzig Stunden in der Woche und traute sich trotzdem nicht, neue Sommersachen zu kaufen. Als sie letzte Woche in Primark für sieben Euro einen Dreierpack ärmelloser Tops gekauft hatte, wollte sie ihn schon zurückbringen, so sehr schämte sie sich wegen der Verschwendung.
»Ich bin stark«, sagte Andrej. »Ich kann das aushalten.«
»Ja, ich auch.« Sie seufzte übertrieben. Dann verspürte sie ohne jede Vorwarnung das Bedürfnis, ins Netz zu gehen. Sie musste nachsehen. Vielleicht würde sie etwas Neues finden. Sie zog den Hocker an den kleinen Schreibtisch aus Kunststoff und begann, mit der Maus zu hantieren.
Hinter ihr fragte Andrej: »Gehst du aus heute Abend?«
Sie hackte auf der Tastatur und starrte auf den Bildschirm. Jetzt mach schon, mach schon. Warum dauert es so lange?
»Lydia? Gehst du aus heute Abend?«
»Ihr könnt euch freuen … ja.«
Darüber freuten sich die jungen Männer tatsächlich. Sie hatten vor, sich vor dem Fernseher häuslich niederzulassen,
The Apprentice zu gucken und sich eifrig Notizen zu machen. Eines
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