Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
Vom Netzwerk:
hatte die Karten gar nicht konsultiert. Sie hob von dem Stapel eine Karte ab. Herzbube: ein Junggeselle, der sich seinem Vergnügen widmete. Das war keine Überraschung. Sie hob erneut ab. Pikzehn. Kummer, Trauer, Verlust der Freiheit.
    »Erlauben Sie mir ein paar offene Worte, mein Herz: Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten haben, um zu wissen, dass Ihr junger Mann eine taube Nuss und ein Tunichtgut ist. Ein Nichtsnutz, wenn ich so frei sein darf. Schicken Sie ihn fort!« Sie nahm eine neue Karte auf. Die Karodame. Oh, nein! »Und wundern Sie sich nicht, wenn er danach Ihrer Schwester Avancen macht.«
    »Aber die ist im siebten Monat schwanger!«
    »Ich sehe eine Frau mit blonden Haaren, klatschsüchtig, keine guten Umgangsformen. Ein missgünstiger Flirt.«
    »Das ist meine Mutter! Er wird sich doch nicht an meine Mutter ranmachen!«
    »Das perfide Verhalten dieses jungen Mannes kennt keine Grenzen«, entgegnete Jemima düster. »Ja, er ist ein falscher Fuffziger, machen Sie sich da nichts vor.«

    »Aber ich liebe ihn.«
    »Das glauben Sie nur. Jemand, der viel besser für Sie ist, ist auf dem Weg zu Ihnen.« Sie fand, dass es nichts schaden konnte, das zu sagen. Wahrscheinlich war wirklich jemand auf dem Weg zu Laurie, nur dass sie ihm nicht begegnen würde, wenn sie diesen Nichtsnutz behielt. Jemima nahm eine neue Karte. Das Kelchass. »Sie werden ruhig und zufrieden sein.«
    »Ich will nicht ruhig und zufrieden sein. Ich bin neunzehn.«
    »Recht haben Sie.« Sie nahm eine neue Karte. Die Kreuzzehn. »Ich sehe eine Seereise.«
    »Bestimmt Dublin Bay Sea Thrill.« Laurie klang wenig begeistert.
    Jemima nahm die letzte Karte auf. Kreuzass. Eine sehr gute Karte, obwohl man angehalten wurde, Karten nicht als »gut« oder »schlecht« zu bezeichnen, da es allein auf die Interpretation ankam. »Ah, gute Nachrichten. Es erwartet sie ein warmer Geldregen.«
    »Na ja, das klingt ein bisschen besser.«
    »Ich wünsche Ihnen alles Gute, meine Teure, und ich bitte Sie dringend: Rufen Sie nicht wieder an. Es ist schrecklich teuer pro Minute – leider kann ich den Preis nicht bestimmen –, und die Antwort wird immer die gleiche sein. Geben Sie Ihr Geld für etwas anderes aus. Kaufen Sie sich einen hübschen …« Wie hieß das, was die jungen Leute trugen? »… einen hübschen Stringtanga und gehen Sie aus …« Was taten junge Frauen gern? »… und geben Sie das Geld für Komasaufen aus.«
    »Komasaufen?«

    »Nicht so, dass Sie das Bewusstsein verlieren, aber gönnen Sie sich ein paar Gläschen … wie heißen diese entzückenden dunkelroten Getränke? Sea-Breeze? Wunderbar. Und gehen Sie tanzen. Lächeln Sie. Amüsieren Sie sich. Vergessen Sie Ihren Typen. Wiedersehen.«
    Sie legte auf. Eigentlich sollte sie die Anrufer in möglichst lange Gespräche verwickeln, damit riesige Telefonkosten für sie aufliefen. Es war ein entwürdigendes Spiel, eine Methode von vielen in dieser modernen Welt, mit der die Traurigen und Einsamen ausgenutzt wurden, und innerhalb ihrer begrenzten Möglichkeiten war Jemima recht subversiv. Früher oder später würden ihr die Betreiber des Ratgebertelefons auf die Schliche kommen, aber bis dahin gab es so viele Menschen, denen geholfen werden musste, und so wenig Zeit dazu.
    Während sie auf den nächsten Anruf wartete – und der würde nicht lange auf sich warten lassen, denn offenbar gab es eine endlose Zahl junger liebeskranker Frauen –, sah sie sich in ihrem dunklen Wohnzimmer mit den vielen schweren Möbeln um. Ein Anblick, der sie jedes Mal froh machte.
    Seit fünf Jahren lebte Jemima in der kleinen Wohnung, und sie war sehr glücklich dort. Ihr verstorbener und von ihr sehr vermisster Mann Giles hatte ein preisgekröntes Wohnhaus im Stil der Moderne entworfen, das (weil er in allen anderen Teilen Irlands aufgrund lauter Proteste keine Baugenehmigung bekam) im County Monaghan gebaut worden war. Der Stil der Moderne bedeutete Glas, viel, viel Glas. Jede Menge davon. Damals
hatte Jemima den wiederkehrenden Alptraum, dass es ihre Aufgabe war, alle Fenster der Welt zu putzen, wozu sie nur eine Flasche Glasreiniger und eine alte Zeitung hatte. Und dann stellte sie fest, dass sie gar nicht träumte.
    Nicht nur in Bezug auf das tägliche Fensterputzen, sondern auch im Hinblick auf ihre sonstigen Bedürfnisse hatte Jemima sich nie richtig wohlgefühlt. Wenn sie zum Beispiel in ein Buch vertieft war und ein unaufschiebbares Grundbedürfnis sich meldete – wie es allen Menschen

Weitere Kostenlose Bücher