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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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dich
ergreifen und mit den anderen Hexenkindern in die Anstalt bringen! Ich nehme
alles zurück, was ich gesagt habe, und wenn du willst, sage ich sogar, dass
Meister David ein guter Mann ist. Aber, in Gottes Namen, komm wieder ins Haus
und vergiss den Henker!«
    Einen kurzen Moment
lang zögerte Maria. Fast wäre sie bereit gewesen, der Schwester zu folgen, doch
dann erwachte ihr Ehrgeiz. Längst ging es ihr nicht mehr um den Henker.
Vielmehr wollte sie der jüngeren Schwester ihren Mut beweisen. Sie wollte von
ihr bewundert werden.
    »Ich gebe schon auf
mich acht«, antwortete sie keck und zog die Kapuze weit über den Kopf, bis nur
noch die feine Nase und der Mund hervorschauten. Eine vorwitzige Locke ihres
rotblonden Haares, die sich am Hals vorbeischlängeln wollte, schob sie
geschickt in die Falten zurück.
    Rasch zog auch
Margaretha die Kapuze über ihren Kopf. Sie atmete wieder ruhiger und wollte
beweisen, dass sie Maria an Mut und Hartnäckigkeit in nichts nachstand.
    »Dann werde ich dich
begleiten.« Entschlossen hakte sie die Schwester unter. »Ich werde dich nicht
allein gehen lassen. Dann ertragen wir eben auch die Prügel gemeinsam,
schließlich war ich es, die deinen Stolz verletzt und dich zu dieser Tat angestiftet
hat.«
    Maria hörte nur die
Hälfte von Margarethas Worten. Ihre Augen wanderten unschlüssig zu den
bleiverglasten Fenstern in der Giebelwand hinauf, hinter der sich die Stuben
befanden. Sie brauchte nur zurück ins Haus zu gehen, dann wäre alles vergessen.
Da ertönte die Glocke von St. Nikolai, die den hochherrschaftlichen
Richter ankündigte. Kurz entschlossen griff sie nach Margarethas Hand. »Komm!«
Eng umschlungen, ohne sich noch einmal umzusehen, schlugen die Geschwister die
Richtung zum Marktplatz ein.
    Unbemerkt hatten
die Mädchen den Ort des Spektakels erreicht. Die eben noch wärmende Sonne hatte
sich hinter den Wolken verkrochen und verbreitete nun trübes Licht. Obwohl ein
frischer Wind aufgekommen war und sich herbstliche Regenschauer ankündigten,
fühlte sich die Stadt an wie ein heißes Brot im Backofen. Vor den ersten
Häusern am Rande des Marktplatzes blieben die Geschwister stehen. Seit Mittag
bewachten die Stadtknechte die Ausgänge zu den einzelnen Bauernschaften. Mit
ihren weiten bunten Beinkleidern und den farbigen Bändern an Hosen und
Strümpfen wirkten sie wie fremde schillernde Vögel. Da sich fast alle Bewohner
bereits auf dem Marktplatz versammelt hatten, erwarteten die Wächter niemanden
mehr. Gelangweilt lümmelten sie auf den Mauervorsprüngen, reinigten die
verstaubten Lunten ihrer Musketen oder verfolgten das Spektakel vor dem
Rathaus.
    Maria richtete sich
auf und stellte sich auf die Zehenspitzen. Mit scharfem Blick entdeckte sie in
dem Gewühl einen freien Platz vor der Tribüne. Nur wenige Fuß entfernt stand
der schwere Holzkarren des Henkers und wartete auf Hermann Beschoren, um ihn im
Anschluss an die Urteilsverlesung außerhalb der Stadttore zur Gertrudenklause
zu bringen, wo er öffentlich enthauptet und verbrannt werden sollte.
    Anstelle des sonst
mageren Schindergauls dösten heute zwei mächtige Ochsen im Joch. Geduldig
ertrugen sie den ungewöhnlichen Wagenaufbau, den drohend über ihren breiten
Köpfen in die Höhe ragenden Holzpfahl und den eisernen Herd, in dem ein offenes
Schmiedefeuer brannte. Sechs Knechte im Harnisch bewachten das Gefährt mit
riesigen Langspießen. Dazwischen bemerkte Maria den Scharfrichter, der
scheinbar unbeteiligt in der Glut herumstocherte. Wie ein Schmied fachte er mit
einem Blasebalg die Flammen an, bis sie aufloderten und winzige Funken
sprühten. Zwischendurch schob er schwere eiserne Zangen in das Feuer, um sie
vorzuglühen. Beim Anblick des großen Mannes, dessen sehnige Gestalt sich
Respekt einflößend von den Zuschauern abhob, begann Marias Herz heftig zu schlagen.
    Über ihm auf der
Tribüne, dunkel wie der Fürst der Hölle, thronte der hochherrschaftliche
Stadtrichter Kerckmann auf seinem Richterstuhl. Gelangweilt drehte er das
Geschenk des Grafen Hermann Adolph zwischen den Fingern: eine winzige silberne
Uhr. Die Rubine auf der runden Fassung fingen den Rest des verglimmenden
Sonnenlichts ein und umspielten die knochigen Finger des Besitzers mit
blutroten, glitzernden Funken. Das tanzende Farbenspiel erhellte die harten,
wie eingemeißelt wirkenden Züge und verlieh ihnen eine sanfte Zufriedenheit.
    Als er kurz
aufblickte, blitzten seine grauen Augen freudig auf. Das Leuchten der Macht und
des

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