Der Henker von Lemgo
»Legt Feuer!«, gab
er den Knechten den Befehl.
Mit ölgetränkten
Fackeln entzündeten die Büttel die acht Klafter Holz, fünf Stiegen Stroh und
eine halbe Tonne Teer von vier Seiten. Schnell züngelten die Flammen empor, das
Stroh begann zu knistern, und Funken sprühten. Das Feuer fraß sich weiter durch
bis zum oberen Kluftholz, und noch bevor die Flammen den gesamten
Scheiterhaufen erfassten, hoben die Büttel die Leiter an.
Margarethe ruckte an
den Seilen und versuchte, sich flach zu machen. Vergeblich. Sechs Knechte
kippten die Leiter in das Feuer. Sie schrie, dann schlugen die Flammen wie ein
roter Feuerball über ihr zusammen.
Inzwischen hatten
die Henkersknechte in aller Eile den leblosen Körper des Schulmeisters auf eine
zweite Leiter gebunden und schmissen ihn nun gleichfalls in das Feuer. Als der
abgetrennte Kopf in hohem Bogen hinterherflog, kreischte die Menge vor
Vergnügen.
Der Scheiterhaufen
brannte jetzt lichterloh. Schwere Rauchwolken trieben über die Köpfe der Menge
hinweg und reizten die Schleimhäute. Die Zuschauer husteten und rüsteten sich
zum Aufbruch. Gemächlich wanderten die ersten in Richtung Osterpforte davon,
als die Pferde vor den Kutschen der Ratsherren sich in Trab setzten.
Meister David verzog
sich zufrieden in eine geschützte Ecke. »Er war sofort tot, der Herr sei seiner
Seele gnädig«, murmelte er, stolz auf den sauberen Schnitt, der ihm reichlich
Lohn und Anerkennung einbringen würde. Erwartungsvoll sah er zum Himmel hinauf.
Ein feuchter Westwind war aufgekommen und blies jetzt kräftig in die Flammen.
Er hoffte auf Regen, den der Wind meistens mit sich brachte. Der Regen war sein
Verbündeter. Er nahm ihm einen großen Teil der Nacharbeiten ab.
Mittlerweile war der
Platz in tiefschwarzen Rauch getaucht. Nur noch die Knechte harrten vor dem
Scheiterhaufen aus. Ihre Augen waren rot und tränten stark. Sie husteten. David
hielt sich ein Tuch vor die Nase und näherte sich dem Haufen an einer
heruntergebrannten Stelle. Mit einem Langspieß stocherte er in der
verlöschenden Glut. Das Feuer hatte die Leitern und Stricke gänzlich
aufgefressen, die Leiber von Beschoren und seinem Weib waren vollständig
verkohlt, doch noch loderten die Knochen.
David beugte das
Knie und bekreuzigte sich. Ohne auf die Glut zu achten, die ihm den Handschuh
verbrennen konnte, griff er zwischen die Scheite und hielt einen kurzen Moment
später den Schädel des Schulmeisters in den Händen. Ehrfurchtsvoll beugte er
den breiten Rücken, legte den Kopf vorsichtig, als wollte er ihn nicht
beschädigen, auf die Erde und bedeckte ihn mit seinem Wams.
»Verzeih deinem
starrköpfigen Schüler, alter Mann«, murmelte er mit weicher Stimme und zog sich
langsam die Maske vom Kopf. Eine Weile knetete er sie unschlüssig mit den
Händen, dann erhob er sich schwerfällig. »Holt die Körper heraus und vergrabt
sie an Ort und Stelle«, befahl er den Knechten. »Alles muss seine Ordnung
haben.«
Das Hexenkind
»Erlassen aber sind die Gesetze,
damit aus Furcht vor ihnen die menschliche Bosheit im Zaune
gehalten und die Unschuld unter den Ehrbaren gesichert, dagegen
unter den Böswilligen durch die Furcht vor der Strafe die
Gelegenheit Schaden zu stiften, eingedämmt werden.«
(Vorwort in: Justiz in alter Zeit, ebenda)
Maria harrte
weitab vom verglühenden Scheiterhaufen bis zum Schluss aus. Zutiefst betroffen
hatte sie die Hinrichtung ihres alten Schulmeisters verfolgt. Nur langsam
verklang das Echo der Schreie der Meisterin in ihren Ohren. Das grausame
Erlebnis ließ sie auch jetzt noch wie im Fieber erschauern.
Hilflos und am
ganzen Leibe zitternd, schaute sie sich um. Der Platz wirkte nach dem Spektakel
einsam und verlassen. Nur noch einige Betrunkene und Hartnäckige lungerten
grölend herum. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, begann es bereits zu
dunkeln. Der Himmel war jetzt verhangen und ließ keinen Sonnenstrahl mehr
hindurch. Still und leise begann es zu nieseln. Der feine Regen wusch Maria den
Staub vom Gesicht, der sich in kleinen schmierigen Rinnsalen ihre Wangen
hinabstahl.
Noch benommen vom
Geschehen, suchten ihre Augen nach einer Abkürzung durch die Gärten nach Hause.
Sie erinnerte sich an den gestrengen Blick des Vaters und die Sorge der Mutter,
wurde unruhig und begann zu frösteln. Der Gedanke an Margaretha machte ihr
zusätzlich ein schlechtes Gewissen. Sie hatte die jüngere Schwester einfach
sich selbst überlassen. Sollte ihr ein Leid geschehen sein, so würde der
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