Der Henker von Lemgo
sie
zaghaft einzulenken und dachte daran, wie die falsche Katze ihr einmal in
Lindemanns Haus hinterhältig einen Krug Milch entlockt hatte. Wie sie, nachdem
sie von der Milch getrunken hatte, plötzlich mit Schaum vor dem Mund und
verrenkten Gliedern auf dem Boden gestrampelt und sie bezichtigt hatte, sie mit
einem bösen Zauber vergiftet zu haben. Daraufhin hatte sie der Schulmeister
Beschoren getröstet und gesagt, dass die Vieregge ein böses Mädchen sei und es
keine Zauberer und Hexen gebe, dafür aber für alles eine natürliche Erklärung.
Daraufhin hatte Maria Vieregge angefangen, hysterisch zu lachen und sie vor den
anderen Kindern zu verspotten.
»Freundinnen …? Wir …? Doch nicht deshalb, weil wir zusammen die Knüppelschule besuchen …?« Die
Vieregge hatte in ihrem Gehopse innegehalten. Sie spielte die Erstaunte. »Mit
dir, Hexendirne des Schulmeisters Beschoren, will ich nichts zu tun haben«,
konterte sie boshaft.
Die Schmähung war
schmerzhafter als ein Schlag ins Gesicht. Doch anstatt sie zu entkräften,
fauchte Maria in gekränkter Eitelkeit zurück: »Ich bin also eine Hexe? Dann
halte dich ja fern von mir, du Hurenkind, denn sonst zaubere ich dir deine
hochmütige Nasenspitze noch ein Stück höher!«
»Miststück!«
Beleidigt schnappte die Vieregge nach Luft und brütete eine weitere Bosheit
aus.
Währenddessen wand
sich Maria wie ein Aal in der Umklammerung des Knochenhauers, um sich zu
befreien. Doch er hielt sie fest in seinen riesigen Pranken. Hilfesuchend
blickte sie in die Runde, konnte von den anderen aber keinen Beistand erwarten.
Sie grinsten dreckig und feuerten die Herausforderin trunken an. Marias einzige
Chance war es, sich der Feindin mutig zu stellen.
»Du warst es doch,
die den Schulmeister an die hochwohlgeborenen Herren verraten hat! Gib es zu,
du hast ihnen auch gezeigt, wo sie Peter finden!«, schrie sie ihr ins Gesicht.
Die Situation erforderte all ihre Kräfte. »Warum hast du das getan?«
Die Vieregge zuckte
verlegen mit den Schultern und ließ den Vater für sich antworten, der als
Erwiderung Marias Haarschopf nur noch fester um die Hand drehte. Vor Schmerz
bog sie ihren Rumpf nach hinten, schlug hilflos mit den Armen und gab sich dem
Gelächter der Männer preis.
Der Triumph über sie
ließ ein selbstgefälliges Lächeln auf dem Gesicht des Knochenhauerluders
erscheinen. Einen Augenblick lang genoss sie stumm Marias Wehrlosigkeit, dann
fauchte sie giftig zurück. »Du mit deinem rotgoldenen Teufelshaar und dem
Engelsblick. Glaube ja nicht, dass du jeden damit betören kannst. Mich
jedenfalls nicht! Und wenn du glaubst, dass du wegen deines Vaters und seines
Einflusses bei den Zünften überall den Mund aufreißen kannst, so hast du dich
ebenfalls geirrt. Der Schulmeister jedenfalls hat seine Strafe dafür bekommen,
dass er dich, Enkelin und Tochter einer Hexe, mir, der Tochter des besten
Knochenhauers der Stadt, vorgezogen hat. Ich bin zwar nicht so reich wie die
Tochter des Cordt Rampendahl, aber an Schönheit kann ich’s mit dir allemal
aufnehmen, und zudem habe ich andere Vorzüge. Deinen Schulmeister zu beklaffen,
bedurfte es meiner nicht. Sowieso hätte mir niemand geglaubt, dass sich
Beschoren, statt Gottes Wort zu lehren, öffentlich gegen die Hexenverfolgung
des Hohen Rates bekennt. Meinem Bruder Johann glaubte man dagegen schon. Ein
Bub von sieben Jahren ist in den Augen der Richter niemals zu einer Lüge
fähig.«
Schadenfroh schob
die Vieregge das Kinn nach vorn, während sie die schmalen Lippen spöttisch
schürzte. Der überlegene Eindruck, mit dem sie die Rampendahl einzuschüchtern
versuchte, verfehlte seine Wirkung nicht.
Maria schäumte vor
Wut. »Du falsche Schlange!« Sie hatte vergessen, dass der Knochenhauer sie
festhielt, und machte mutig einen Schritt nach vorn auf die Feindin zu.
Vieregge riss sie an den Haaren zurück. Als sie aufheulte und mit den Händen
nach ihrer Kopfhaut griff, ließ er sie los, um sie vor die Füße seiner Tochter
zu stoßen.
Vor Schmerz schrie
Maria leise auf und wollte sich an den Röcken der Knochenhauertochter
hochziehen. Doch die Vieregge wich lachend vor ihr zurück und schleifte sie an
ihren Rockfalten hinter sich her. »Dafür wird der Herrgott dich und deinen
Bruder bestrafen!«, heulte Maria auf.
»Wir werden ja
sehen, wer zuerst bestraft wird, du Hexenbalg!« Zornesrot holte die Vieregge
mit ihrem perlenbesetzten Schuh aus und trat Maria kräftig in den Bauch. Vor
Schmerzen krümmte sich ihre
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