Der Henker von Lemgo
Widersacherin und rollte sich wie ein Igel
zusammen. Als das Knochenhauerluder abermals nach ihr trat und sich dann über
sie beugte, formte Maria ihren Mund zu einem Trichter. Die Ladung Spucke traf
just in diesem Moment ihr Ziel, als die Verhasste den Mund zu einer neuen
Gemeinheit geöffnet hatte. Sie stieß einen quietschenden Laut aus und wischte
sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig, doch
sie unterdrückte die Tränen und kreischte zornesrot: »Hure, ich reiße dir jedes
Haar einzeln heraus!« Wie eine Krähe mit ausgebreiteten Flügeln stürzte sie
sich auf Maria. Im gleichen Moment verkrallten sich ihre Fingernägel in ihrem
Schopf. Maria wehrte sich und trommelte mit beiden Fäusten auf ihrer Nase
herum.
Die Männer hatten
einen Halbkreis gebildet. Die Keilerei begann sie zu amüsieren. Sie feuerten
die Kämpfenden an und schlossen lautstark Wetten ab. Am lautesten schrie der
Knochenhauer.
»Gib es ihr, Kind!
Kratz dem Hexenbalg die Augen aus!« Er nahm einen Schluck aus dem Krug seines
Kumpans Koch, der in seinen bestickten Hornschuhen um die beiden
herumstolzierte und dabei Kaufmanns Tochter anhielt, es Vieregges Maria
gleichzutun.
Das blasse,
jungfräuliche Mädchen hatte sich bisher aus dem Geschehen herausgehalten. Sie
war den Rampendahls stets mit Respekt begegnet und wusste, dass ihr Onkel
einflussreiche Freunde besaß. Gehorsam beugte sie sich ihrem Vater Heinrich
Kaufmann, der sie zurückhielt. Er hatte von allen der Gruppe am wenigsten
getrunken und fürchtete die Rache des Schwagers. Er wusste, dass Rampendahl den
Angriff auf seine Tochter nicht schweigsam hinnehmen würde.
»Lasst sie endlich
in Ruhe ziehen, Vieregge. Ihr habt Euren Spaß gehabt«, wandte er schüchtern
ein. Einzugreifen wagte er nicht. Zu schnell konnte ihn ein solches Verhalten
selbst in den Verdacht der Hexerei bringen. In diesem Augenblick flog ein Stein
durch die Luft und traf Maria an der Schläfe. Blut spritzte und färbte ihr
rotblondes Haar dunkler. Mit einem Aufschrei sackte sie in sich zusammen.
»Wollen sich die
Herren weiterhin feige an einem Kind vergehen?«, brüllte plötzlich eine
kräftige Stimme. »Dann solltet Ihr bedenken, dass Ihr mit einer Brüchtenstrafe
nicht so leicht davonkommt!«
Mit einem
überraschten und verständnislosen Gesichtsausdruck fuhren die drei Betrunkenen
abrupt herum. Die Vieregge rannte hastig zum Vater und versteckte sich hinter
seinem breiten Rücken. Nur Maria blieb schmutzig und mit zerzausten Haaren im
Morast der zerfahrenen Straße sitzen und hielt sich den blutenden Kopf. Sie
schluchzte leise.
Alle Augen waren
respektvoll auf den Scharfrichter gerichtet, der, von dem Lärm angelockt,
unbemerkt seinen schweren Friesen zum Stehen gebracht hatte und nun neugierig
näher trat. Der tiefschwarze Koloss zu seiner Rechten schnaubte und scharrte
mit den breiten Hufen. Links und rechts des kräftigen und edel gebogenen Halses
wallte die dichte lockige Mähne.
Während David
Claussen mit einer Hand das Pferd am Zügel hielt, wies er mit der anderen zum
abgebrannten Scheiterhaufen. »Sind Euch rollende Köpfe und ein Scheiterhaufen
nicht genug? Müsst Ihr jetzt schon Lynchjustiz an Kindern betreiben?«, donnerte
er wütend. Da er den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, konnten sie seine
Erregung nicht in Gänze sehen, doch um seine Mundwinkel zuckte es gefährlich.
In der Satteltasche steckte noch gut sichtbar das Richtschwert, das er im
Begriff gewesen war, zurück in die Scharfrichterei zu bringen.
Der Anblick des
todbringenden Werkzeuges jagte den Anwesenden noch nachträglich einen Schauer
über den Rücken. Heinrich Kaufmann hatte sich als Erster wieder gefasst.
»Verzeiht uns den Frevel, Meister David. Wir haben einen zu viel über den Durst
getrunken. Das verwirrt die Sinne«, versuchte er, die Situation diplomatisch zu
retten.
Doch der bullige
Knochenhauer fiel ihm ins Wort. »Was faselt Ihr da, Kaufmann. Es ist doch
allgemein bekannt, dass die Rampendahlsche ein Hexenkind ist. So ein Übel muss
an der Wurzel bekämpft werden, bevor es in der Erbfolge noch weitergegeben
wird. Schon die Großmutter dieses Balges war eine Hexe, genauso wie die Mutter
eine ist. Und Ihr, David Claussen, Ihr haltet Euch da lieber raus. Ihr seid nur
der Scharfrichter. Euch kommt es nicht zu, über Hexerei zu urteilen, Eure
Aufgabe ist es lediglich, Befehle auszuführen!« Dreist stellte er sich dem
Pferd in den Weg. Das Bier schien den selbstgefälligen
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