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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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leicht zitterten. Vereinzelt schimmerte rosiges Fleisch durch
die zerrissene Kleidung, auch Schürfwunden und schwarzbraune Schmutzstellen
zeugten von dem Überfall. Unschlüssig verharrte sie an Ort und Stelle. Das eben
Erlebte hatte sie stark verunsichert. Ängstlich richtete sie die Augen auf
Meister David und hüllte sich in tiefes Schweigen. Erst als er den Friesen
wendete und sich ungeduldig anschickte, ohne sie davonzugaloppieren, kehrte
langsam das Leben in sie zurück. »An Euren Händen klebt Blut, Meister David«,
bemerkte sie zaghaft.
    Der Einwand
irritierte David nicht, der Begriff »Blut« gehörte für ihn zum Alltag. Doch der
Ekel und die Abscheu in ihren Augen stimmten ihn ärgerlich. »Ich weiß, dass du
ein vorwitziges Mädchen bist, also komm endlich und hab dich nicht so«, befahl
er ihr ärgerlich. Der Friese unter ihm tänzelte nervös.
    »Wirst du mir dann
auch den Kopf abschlagen?«
    »Warum das denn?«
Verblüfft sah er auf sie hinab. Schließlich war es eine Ehre, den Kopf
abgeschlagen zu bekommen.
    »Weil ich eine Hexe
bin so wie der Schulmeister ein Hexer.«
    David lächelte
erleichtert. »Sei nur ganz beruhigt. Ich schlage keinen kleinen Mädchen die
Köpfe ab.« Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, und schulmeisterlich streng
drohte er ihr mit erhobenem Zeigefinger: »Mit der Hexe hast du gar nicht so
unrecht. Denn ein Mädchen, das ohne Vater und Mutter einer Hinrichtung
beiwohnt, kann nichts anderes als eine Hexe sein.«
    Jetzt war es an
Maria, erstaunt zu sein. Gebannt hing sie an dem wettergegerbten Gesicht mit
den dunkel glühenden Augen. »Aber, Gott ist mein Zeuge, ich wollte Euch doch
nur um Gnade für den Schulmeister bitten!« Vorsichtig trat sie näher.
    David Claussen
beugte sich tiefer zu ihr hinab, um sie auf das Pferd zu heben. »Du warst
bereit, dein Leben für ihn aufs Spiel zu setzen?« Er bewunderte ihren Mut.
    Maria blickte zu
Boden und trat von einem Fuß auf den anderen. Seit Tagen hatte sie von einer
Begegnung mit Meister David in ihrer Phantasie geträumt, doch nun hielt sie die
Scheu vor dem Mann zurück, der ihr noch vor wenigen Augenblicken so grausam
sein zweites Gesicht offenbart hatte. Verunsichert griff sie in ihr Mieder und
zog das Buch des Schulmeisters hervor, das sie in der Eile eingesteckt hatte.
In der Hoffnung, dass es sie vor dem Teufel beschützen möge, drückte sie es an
ihr Herz.
    »Was versteckst du
da vor mir?«, fragte David neugierig.
    »Es ist das Andenken
an meinen Schulmeister. Durch diese Fibel wird er aus dem Himmelreich zu mir
sprechen, wenn ich ängstlich bin.«
    »Und jetzt hast du
Angst vor mir?«
    »Ja, weil Ihr ein
grausamer Mann mit einem Engelsgesicht seid. Wie der Teufel. Ihr verbergt Eure
Grausamkeit hinter einer schönen Maske.«
    »So, so.« David
grinste geschmeichelt und hielt ihr erneut auffordernd die Hand hin. »Zeigst du
mir das Buch? Oder hätte dein Schulmeister etwas dagegen, wenn so ein Teufel
wie ich es berührte?«
    Das Interesse des
Scharfrichters verlockte sie, sich mit dem Geschenk vor ihm zu brüsten. Artig
reichte sie ihm das Buch.
    Neugierig nahm es
ihr David aus der Hand und warf einen kurzen Blick auf den bibelähnlichen
Umschlag. Als er die erste Seite aufschlug, verfinsterten sich seine Züge.
Hastig gab er es ihr mit den Worten zurück: »Steck es schnell weg, Maria. Ein
Geschenk soll man in Ehren halten. Aber dies hier ist nicht für andere Augen bestimmt.
Versprich mir, es niemals einem Fremden zu zeigen, geschweige denn, jemandem
davon zu erzählen.« Des Lesens mächtig, hatte er die Gefahr, die sich hinter
den ketzerischen Lettern verbarg, sofort erkannt und das Unheil gewittert, das
der Nachlass des Schulmeisters noch über seinen Tod hinaus anrichten konnte.
    Marias Züge drückten
Erstaunen aus, als sie das Buch wieder an ihrer Brust verbarg. Noch verstand
sie die Bedeutung der Worte des Scharfrichters nicht, doch mit der Zurückgabe
des Buches hatte er ihre Zweifel beseitigt und sie von seiner Arglosigkeit
überzeugt. Schlussendlich folgte sie, wenn auch zaghaft, seiner Aufforderung
und reichte ihm ihre schmale Hand. Auf seinen kräftigen Arm gestützt, kletterte
sie über den Steigbügel hinauf zu ihm in den Sattel. Behutsam legte er ihr den
Mantel über die Schultern und schloss die Spange vor ihrer Brust. Einen Moment
lang spürte sie seinen rauen Atem und die Wärme seines Körpers an ihrem Rücken.
Sicher zwischen seinen starken Armen, überkam sie erneut jenes angenehme
Kribbeln.

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