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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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Knochenhauer sämtlicher
Hemmungen beraubt zu haben. In Erwartung, dass die anderen ihm für seinen Mut
Beifall zollen würden, forderte er den Scharfrichter zum Duell heraus.
    David hatte sich das
wirre Gefasel ruhig angehört und streckte nun die Hand nach Maria aus: »Komm,
ich bring dich nach Hause, Jungfer.«
    Vieregge blähte sich
hinter seinem Rücken noch immer auf und krakeelte weiter: »Im Kopfabschlagen
scheint Ihr mir flinker als im Reden zu sein, Meister David. Wie wäre es, wollt
Ihr Euer Schwert nicht auch an mir ausprobieren? Ich zittere nicht vor Euch,
Filler!« Er bemerkte nicht, dass die anderen auf Distanz zu ihm gingen.
    »Ihr sucht Händel?«
Der Henker ließ von Maria ab und drehte dem Knochenhauer langsam das Gesicht
zu. Für einen Moment blickte er ihm fest in die Augen. Die Halsschlagader
verfärbte sich zu einer prallen blauen Schnur und schwoll an, als wollte sie
jeden Augenblick den gespannten Muskel sprengen. Dann packte David Vieregge
ohne Vorwarnung am Hals, sodass das feiste Gesicht des Knochenhauers ängstlich
zu zittern begann. Er war dem großen, muskelbepackten Henker körperlich
durchaus gewachsen, an Schnelligkeit aber weit unterlegen.
    »So wütend habe ich
den Scharfrichter noch nie erlebt«, flüsterte Kaufmann seiner Tochter Elisabeth
ins Ohr und brachte sie in Sicherheit. Meister David war als ein
schlagkräftiger Mann bekannt, ebenso der Knochenhauer, nur spielten sich ihre
Art von Handgreiflichkeiten meistens bei geselligen Saufgelagen in den
Nachbarhäusern ab.
    Vieregge schien
lebensmüde zu sein. Frech feixte er David an. Obwohl ihm die Augen aus den
Höhlen quollen und die Stimme nicht mehr gehorchte, wiederholte er die
Beleidigung: »Ihr seid ein Filler, nichts anderes! Ehrbaren Leuten wie uns habt
Ihr nicht zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben!«
    Die Beleidigung
»Filler« war für David eine schwer zu ertragene Schmähung, zudem gefährlich,
weil seine Belehnung mit dem Abdeckerprivileg einen berufsmäßigen Umgang mit
seinen Fillern bedingte. Entsprechend wurde die Beleidigung von der Obrigkeit
bestraft. Das wusste jedermann – auch Johann Vieregge.
    Der Henker hätte ihn
wie einen Apfel zerquetschen können, doch er besann sich letztendlich eines
Besseren, als er in die verängstigten Augen Marias blickte. Kaufmann hatte das
Mädchen aus dem Bereich der beiden Kampfhähne weggezogen. Hilflos ließ sie es mit
sich geschehen, dass ihr die ältere Cousine umständlich mit einem Tuch über
Haar und Gesicht wischte.
    »Seid Gott, unserem
Herrn, dankbar dafür, dass ich mehr Ehre im Leib habe als Ihr Schelm in Eurem
Fettwanst und deshalb großmütig über die Schmähung hinwegsehe«, zischte David
dicht an seinem Ohr. Er verspürte keine Lust darauf, sich mit dem Knochenhauer
zu prügeln. Stattdessen spannten sich seine Armmuskeln, um den schweren Koloss
zu umfassen und in die Luft zu heben. Verächtlich schleuderte er ihn von sich
weg, sodass Vieregge rücklings in einer ausgefahrenen Radspur landete.
    Mit Unterstützung
seiner Tochter erhob er sich schwankend und trollte sich von dannen. David
hörte, wie er, auf ihre Schultern gestützt, Verwünschungen gegen ihn und das
Hexenkind ausstieß.
    Rasch ergriff der
Scharfrichter die Zügel des Hengstes und wandte sich warnend an die beiden
anderen Umstehenden. »Was ist mit Euch? Seid auch Ihr der Meinung, ein kleines
Mädchen erschrecken zu müssen?«
    Kaufmann und Koch
räusperten sich verlegen und hatten es plötzlich sehr eilig. Der junge Kornherr
deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an, mehr traute er sich nicht zu, dazu
stand er nicht mehr fest genug auf den Füßen. »Wenn Ihr erlaubt, Meister David,
dann werden wir die Angelegenheit mit einer Kanne Bier bei Cordt Rampendahl auf
der Diele bereinigen«, lallte er.
    »Falls Euch
Rampendahl nicht das Fell über die Ohren zieht.« Der Scharfrichter lachte
versöhnlich. Ein Angebot zum Saufen stimmte ihn jederzeit gnädig.
    Dort, wo Maria vom
Stein getroffen worden war, lag einsam ein Häufchen aus schmutzigem Leinen.
David bückte sich und hob es auf. Marias Umhang. Er schwang sich auf das Pferd
und wiederholte, im Sattel sitzend, seine Aufforderung. »Komm schon, ich bring
dich zurück zum Vater und zur Mutter.« Um ihr die Angst zu nehmen, beugte er
sich über den Sattelknauf, schnitt eine lustige Grimasse und streckte ihr die
Hand entgegen.
    Doch Maria rührte
sich nicht. Die Ärmel ihres Hemdes hingen ihr in Fetzen von den kindlichen
Schultern, die

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