Der Herodes-Killer
hin, an der noch immer der Schmutz klebte. Rosen erkannte die Stimme vom Anrufbeantworter.
«Bruder Aidan?»
«Ja?» Der Mönch klang leicht überrascht, dass der Besucher ihn kannte. «Wer sind Sie?»
«Sie haben eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Ich bin DCI David Rosen von der Metropolitan Police.» Rosen zeigte ihm seinen Polizeiausweis, und Bruder Aidan trat einen halben Schritt zurück.
Statt Überraschung strahlte er nun Unbehagen aus.
«Sie haben nicht zurückgerufen», erklärte Aidan abwehrend. Gesicht und Kopfhaut waren von grauen Stoppeln bedeckt, und seine Züge hatten etwas Gummiartiges, das Rosen an eine billige Halloweenmaske erinnerte.
«Doch, habe ich. Was haben Sie gestern Abend um neun Uhr gemacht?»
«Wir waren beim Abendgebet.»
«Da habe ich Sie zurückgerufen, Bruder Aidan.»
«Aber wer hat abgenommen?»
«Father Sebastian. Ich bin von London hergekommen, um mich mit ihm zu treffen.»
«Nun, ich …»
Es sah aus, als suchte Aidan krampfhaft nach einer Ausrede. Als machte Rosens plötzliches Auftauchen den Termin mit dem Father irgendwie unmöglich.
Die Furcht vor einer weiteren Enttäuschung überwältigte Rosen.
«Wir haben uns gestern Abend verabredet, als Sie gebetet haben.»
«Ja, ja, gewiss. Ich bringe Sie zu ihm.»
Als Rosen Aidan über die Schwelle von St Mark’s folgte, hätte er sich am liebsten die Schuhe ausgezogen. Er war froh, dass er sein Handy im Auto vergessen hatte.
«Hier wohnen dauerhaft sieben Männer, mich selbst und Father Sebastian eingeschlossen», antwortete Aidan auf eine Frage, die Rosen nicht gestellt hatte.
Vom oberen Ende der Treppe fasste das viktorianische Ölgemälde eines ernst blickenden, einsamen heiligen Dominikus Rosen scharf ins Auge. Er stieg die Stufen hinauf und trat in einen fensterlosen und dadurch ewig finsteren Korridor.
«Ich war überrascht von seiner Bitte, Sie anzurufen.» Aidan lächelte, sah aber nicht gerade glücklich aus. «Sie sollten ihm genau zuhören. Er ist – das Wort ‹gesegnet› wirkt unpassend. Er hat aufschlussreiche Einsichten.»
Aidan blieb vor einer Tür stehen, auf deren dunkles Holz die Zahl Elf gemalt war. Ein einzelner Kratzer, von einem Netz von Rissen umgeben, durchschnitt die weißen Ziffern. Er ließ Rosen an ein DNA-Muster denken.
«Es gibt mehr Zimmer als Bewohner», sagte Aidan und klopfte an die Tür, nervös, wie es Rosen erschien. Stille. Er klopfte erneut, diesmal energischer, und sagte: «Father Sebastian? Sie haben Besuch. Father, sind Sie da?»
Während eines Atemzugs ging Rosen die graue Eintönigkeit seiner Kindheit durch den Kopf. Das zentrale Bild war das eines schmalen Mannes, seines eigenen fehlenden Vaters. All seine Habseligkeiten in zwei Plastiktüten gestopft, hatte dieser Mann der Wohnungstür den Rücken gekehrt, war durch den Flur des Mietshauses davongegangen und hatte sich nicht umgeblickt, als er zur Treppe hin abgebogen war. Sie hatten ihn nie wieder gesehen.
«Vielleicht ist er nicht in seinem Zimmer.» Aidan hämmerte mit der offenen Hand gegen die Tür. «Er hört nicht mehr gut. Seit Kenia.»
Langsam drückte der Mönch die Türklinke herunter und schob die Tür auf. Im Zimmer strich jemand ein Streichholz an einer rauen Oberfläche an. Die rote Spitze flammte auf. Die Tür öffnete sich weiter.
Den Rücken zur Tür gekehrt, zündete Father Sebastian gerade ein Räucherstäbchen an. Ein schmaler Rauchfaden stieg von dessen Spitze auf. Er drückte das Streichholz mit dem angefeuchteten Zeigefinger und Daumen aus. Es war ein kleines Zimmer mit einem schmalen Bett, einem geschlossenen Fenster, einer kleinen Reihe von Büchern und einem Porzellanwaschbecken mit einem Spiegel darüber. Rosen erhaschte darin einen Blick auf Father Sebastians Gesicht. Er hatte blaue Augen und ein schon etwas älteres, aber sehr attraktives Gesicht. Das schwarze Haar war von Schweiß oder Wasser feucht. Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel.
«In unserer Welt steht alles auf dem Kopf oder ist seitenverkehrt», sagte der Priester lächelnd und drehte sich um. «Chief Inspector David Rosen?»
«Father Sebastian Flint.»
«Danke, dass Sie hergekommen sind. Würden Sie gerne … bitte, kommen Sie doch herein.»
Sebastian kehrte zum Waschbecken zurück, ließ heißes Wasser über einen weißen Waschlappen laufen und stöpselte den Abfluss zu. Sein weißes T-Shirt war vom Alter grau und klebte mit einem Schweißfleck am Rücken fest. Unmittelbar über der Hüfte,
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