Der Herodes-Killer
Rosen deutete auf seinen Laptop.
«Dazu bräuchten wir Aidans Einverständnis, er hat hier das Sagen.»
Rosen suchte in Sebastians Gesicht nach einem Lächeln, einem Aufflackern von Ironie, aber seine Miene war vollkommen ausdruckslos.
Sebastian hob das Bild auf, das auf den Boden gefallen war, und betrachtete es so, dass Rosen nur die leere Rückseite sehen konnte. Er legte es mit dem Gesicht nach unten aufs Kopfkissen.
«Wollen Sie das Bild nicht wieder aufhängen?», schlug Rosen vor.
«Vielleicht heute Nachmittag.»
Rosen hätte gerne gewusst, welches Bild der Priester als Einziges in seiner engen Zelle zur Schau stellen würde, und sagte: «Jetzt ist die beste Gelegenheit dazu.»
«Dann habe ich später am Tag nichts mehr zu tun.»
«Kaffee. Lassen Sie uns einen Kaffee trinken.»
Rosen beendete die Befragung vorläufig, schaltete das Diktiergerät aus und folgte dem Priester aus seinem ärmlichen, winzigen Zimmer.
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12
Die Küche von St Mark’s war aus Stein gemauert, aber warm vom eisernen Ofen und durchdrungen vom Aroma von Brot und Kaffee. Ein großartiger Zufluchtsort vor der Welt, dachte Rosen.
Aidan stand in einer Entfernung zum Laptop, die sein mangelndes Interesse am Internet demonstrierte, aber in einem Winkel, der es ihm gestattete, den Bildschirm zu sehen.
«Es hat einmal eine Zeit gegeben», sagte Sebastian, «da musste man die British Library aufsuchen, um so etwas zu sehen. Waren Sie schon mal in der British Library, Aidan?»
«Nein, noch nie, Sebastian.»
«Okay, wir sind drin.» Rosen fuhr mit dem Zeigefinger über das Mausfeld, während Aidan zwei Becher mit Kaffee auf den schlichten Holztisch stellte, auf dem der Laptop stand.
«Danke, Aidan.» Sebastian schob die Becher in eine sichere Entfernung von Rosens Laptop und fragte: «Sie setzen sich nicht zu uns?»
Aidan führte ein Glas Wasser an die Lippen und schüttelte den Kopf.
«Geben Sie den Namen in das Suchfeld ein», sagte Rosen, der sich der Schreibweise unsicher war.
Sebastian tippte mit einem Finger die Worte Alessio Capaneus und fragte: «Und jetzt?»
Rosen führte den Cursor zur Schaltfläche «Suchen» und klickte sie an. Nur 0,73 Sekunden später wurden 1400000 Ergebnisse angezeigt.
«Oho!» Ein Seufzer tief empfundenen Staunens entschlüpfte Sebastian.
«Freuen Sie sich nicht zu früh. Die Ergebnisse beziehen sich nicht wirklich auf den Mann, hinter dem wir her sind.»
Rosen scrollte die erste Seite hinunter, und nach dem sechsten Treffer blieben direkte Verweise auf Alessio Capaneus aus. Er sprang auf Seite zwei und fand einen Treffer, der ein Ergebnis von der ersten Seite wiederholte. Auf Seite drei war nichts. Auf Seite vier, fünf, sechs und sieben blieb er ebenfalls erfolglos. Nichts.
Er kehrte zur ersten Seite zurück.
«Das geht zu schnell für mich», sagte Sebastian.
«Sie hatten recht. Er ist unbekannt.»
Von den sechs aufgeführten Sites waren drei identisch. Die vierte und die fünfte Site enthielten einen einzeiligen Verweis: «Alessio Capaneus, Hexer im dreizehnten Jahrhundert.»
«Aber er war kein Hexer», erklärte Sebastian.
«Was Ihnen eine Ahnung vermittelt, wie zuverlässig im Internet gefundene Informationen sein können.»
«Sie meinen, im Internet gibt es keine redaktionelle Kontrolle?» Sebastian klang erstaunt.
Rosen wusste nicht, was er sagen oder wo er mit dem Erklären anfangen sollte, und so sagte er einfach nur: «Das ist richtig, Father Flint. Im Internet gibt es keine redaktionelle Kontrolle. Es wäre, als versuchte man, während eines Sandsturms Ordnung unter den Sandkörnern der Wüste zu schaffen. Haben Sie denn in Ihrer Zeit am Vatikan das Internet nicht benutzt?»
«Sandkörner?», gab der Priester zurück. Die sechste Site zählte Alessio Capaneus nur unter anderen bekannten Florentinern jener Zeit auf. «Das Internet war gerade erst im Entstehen, als ich Rom verlassen habe und nach Kenia gegangen bin.»
«Was haben Sie denn in Kenia gemacht?», fragte Rosen.
«Das Werk des Herrn. Was ist mit diesen dreien ganz oben?», fragte Sebastian.
«Das sind … dieselben drei.» Rosen klickte die oberste Site an. «Es ist ein Verzeichnis des Okkulten. Schauen Sie.» Er scrollte so weit herunter, bis der Abschnitt, der sich auf Alessio Capaneus bezog, auf dem Bildschirm zu sehen war.
Alessio Capaneus, dreizehntes Jahrhundert, genaues Geburtsdatum und Herkunft unbekannt, florentinisches Straßenkind, wurde als Buße für Kindesmissbrauch ins Haus
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