Der Herr Der Drachen: Roman
Nuathin ? Sie schrie laut seinen Namen, und auch wenn sie keine Antwort bekam, konnte sie doch spüren, dass da etwas über ihr schwebte und sie beobachtete.
Nuathin, bist du hier ?
Wer bist du ? Eine Stimme, bestehend aus vielen, sprach zu ihr.
Ich bin Shaan.
Nein, wir fühlen, dass du mehr bist.
Verzweifelt und entmutigt antwortete sie. Ich bin nur Shaan.
Nein! Du bist wie er. Wir können es sehen, fühlen und an dir riechen. Der, der uns unseren Namen gab, hat dir sein Mal aufgedrückt. Kommt er, um uns zu holen? Arak-siiiiiii .
Die Stimmen verzerrten die Worte zu einem Zischen, der Laut breitete sich in der Dunkelheit aus, und die einzelnen Stimmen überlagerten einander.
Hat er uns gefunden? … Führe uns auf die wahren Wege … Er hat uns verlassen, sollte er jemand anderen schicken? Sie trägt sein Zeichen, und auch nach so langer Zeit kann ich ihn fühlen … Wir waren nicht gehorsam, wird er uns vergeben?
Traurigkeit und Sehnsucht schwangen in der letzten Stimme mit, und Shaan wirbelte herum, um herauszufinden, von wo die Stimmen kamen. Aber sie waren überall und nirgends. Ihre Worte umgaben sie, wurden immer mehr, und das Murmeln schwoll an und erfüllte ihren Geist. Sie konnte nicht mehr atmen. Mit dem Mut der Verzweiflung schrie sie. Was wollt ihr? Sagt es mir!
Jeglicher Laut verstummte . Zeigt es ihr , flüsterte eine einzelne Stimme. Dann gab es eine Pause, gefolgt von einem Zerren und einer Flut von Schmerz, als jeder Drache im Schwarm sein Bewusstsein in ihres schob. Ein rauschendes, reißendes Ziehen durchfuhr sie, weißes Licht stach ihr in die Augen, und mit einem Mal konnte sie sehen. Sie flog. Der Wind schnitt ihr in die Augen, und ihr Schwanz peitschte hinter ihr durch die Luft und suchte einen günstigen Aufwind. Es war wunderbar, entsetzlich, berauschend. Sie war nicht allein. Sie spürte sie alle, die anderen, dort bei ihr, alles mit ihr teilend, vereint.
Sie schossen hinab auf den dichten Dschungel zu, verzehrten sich nach der heißen Feuchtigkeit, und ein Feuer brannte in ihren Bäuchen. Die Bäume waren undurchdringlich und wurden zur Seite gefegt, wenn die harten Membranflügel niedersausten, Holz splitterte, Ranken zerrissen. Dann waren sie durchgebrochen, und der süße, nasse Geruch des Erdbodens stieg ihnen in die Nüstern. Der braune Fluss stank beißend, und er schoss schnell unter ihnen
dahin. Und sie konnten die Mauern entdecken, die sich steinern und einladend vor ihnen erhoben. Und dort wartete Er.
Eine kleine, verängstigte Stimme in ihrem Innern jammerte beim Anblick der Stadt aus ihren Träumen. Da waren die vertrauten Tore und der Duft der Erde, aber alles wurde von den anderen verschluckt und unterworfen, und sie schloss sich ihnen an, schlüpfte hindurch, löste sich von sich selbst und glitt in ihre Verbindung. Andere flogen neben ihr, und die Azim, die Zweibeiner, wandelten unter ihnen. Und Er war da, irgendwo dort oben, erwartete sie und rief nach ihnen. Sie konnten ihn in ihrem Blut singen hören. Arak , riefen sie freudig im Chor. Arak . Sie waren jetzt vereint.
Dort stand er, dunkelhaarig und mit indigoblauen Augen, und seine Hand hielt den Stein. Sie wünschten sich, wünschten sich so sehr, dass er sie dieses Mal erwählen würde.
Genug !
Licht und Schmerz durchzuckten Shaan, und sie wurde ausgestoßen. Schreiend versuchte sie, sich festzuklammern, aber sie drängten sie zurück in die Schwärze.
Kann sie ihn finden ? Da war wieder die vielschichtige Stimme und fuhr durch Shaans Geist. Shaan wimmerte, war jedoch außerstande, etwas zu entgegnen. Ist sie eine Prophetin ?
Sie kann es ihm sagen . Eine tiefe, wabernde Stimme drang an die Oberfläche. Wir sind ergeben. Wir warten. Zeigt es ihr!
Und der Schmerz kehrte zurück, zerrte an ihr, zerriss sie. Sie wurde gezwungen, an einem Ort die Augen aufzuschlagen, den sie gut kannte: in der Drachenkuppel.
Aber das Licht war strahlender, täuschender, und sie war ein Nichts, aber sie konnte sehen.
Drachen standen in der Luft, Dutzende von ihnen, Flügelspitze an Flügelspitze, und sie umringten die Kuppel. Es waren so viele, und Shaan konnte hinter ihnen nichts als den Himmel sehen, einen seltsamen, lilafarbenen Himmel, von Wolken und goldenen Streifen überzogen. Auf dem Dach stand ein Mann. Er war groß und dunkelhaarig, und Shaan konnte sein Gesicht nicht erkennen.
Doch sie wusste, dass das kein Mann war. Sie wusste, wer er war. Sie konnte ihn spüren, und sein Wesen sang in ihrem Blut. Es war
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