Der Herr Der Drachen: Roman
Attar drehte. »Hast du eine Nachricht für mich?«
»Ja.« Attar zog einen dünnen Lederumschlag unter seinem Wams hervor. »Vom Kommandanten.«
Der alte Mann musterte ihn. »Weitere Angriffe jenseits der Berge?«
»So scheint es. Wir werden es aber herausfinden, denn wir sind auf dem Weg dorthin. Dieses Mal bleibt uns keine Zeit für einen Wein. Ist dein Junge in der Nähe, um unsere Wasserschläuche aufzufüllen?«
Vilan nickte, drehte sich um und brüllte quer über den Hof. Einen Augenblick später antwortete ihm ein junger Bursche, der aus einem der Gebäude in der Nähe gerannt kam. Er war groß und schlaksig, mit rotem Haar, und Tallis fragte sich, ob er ein weiterer Sprössling von Vilan war. Der Junge nahm mit breitem Grinsen die Wasserschläuche entgegen und verschwand wieder.
»Er braucht nicht lange«, sagte Vilan.
Jared kam zu ihnen und lächelte Vilan an. »Dein Sohn?« Er hob eine Augenbraue, und Vilan schnaubte und spuckte aus.
»Ja, und der Liebling seiner Mutter.«
Angesichts der Tatsache, dass er bereits größer als Vilan war, fragte sich Tallis, ob dieser wirklich der Vater war. Der amüsierte Blick, den Jared ihm zuwarf, verriet ihm, dass er die gleichen Gedanken hegte. Attar lachte und ließ seine Hand auf Vilans Schulter krachen.
»Na ja, wenn sie dann wenigstens aufhört, dir die Haare auszureißen!« Er lachte, und Vilan verzog säuerlich das Gesicht. »Du hast dich schon immer für einen großen Witzbold gehalten, Attar.« Er rieb sich den kahl werdenden Schädel. »Ich werde zu den Göttern beten, dass diese Drachen, die ihr sucht, euch die Scherze austreiben.«
»Aah, aber du würdest sie doch vermissen.« Attar drückte dem Mann die Schulter, und Vilan warf ihm einen Seitenblick zu.
»So wie ich Sand in meinen Augen vermisse.«
Attar lachte, und die beiden Männer tauschten noch ein paar Beleidigungen aus, bis Vilans Junge mit dem Wasser zurückkam. Und dann waren sie wieder auf den Rücken der Drachen und ließen Shalnor hinter sich zurück.
Sie flogen hinaus in den Nachmittag und hielten sich an den Fluss Pleth zu ihrer Linken. Sie würden erst wieder Rast machen, wenn die Drachen müde wurden. Unter ihnen raste die rötliche Erde dahin, und Tallis begann, bestimmte Landschaftsmarkierungen von ihrem letzten Flug wiederzuerkennen. Hier eine Flussbiegung und dort ein Wäldchen, aber insgesamt blieb alles fremd und merkwürdig. Tallis betrachtete den tiefen Einschnitt, den der Fluss in den Boden gegraben hatte, und er staunte nicht weniger darüber als beim ersten Anblick damals.
Der Tag neigte sich dem Ende zu; die Sonne sank wie ein Feuerball und färbte den Himmel trüb rosa. Tallis und die anderen tranken wenige Schlucke aus ihren Wasserschläuchen und kauten auf getrocknetem Fleisch herum, während sie auf den Rücken der Drachen saßen und zusahen, wie das Licht schwächer wurde und schließlich die Dunkelheit hereinbrach. Kein Mond stand am Himmel, und nur am Fluss entlang blitzte gelber Laternenschein in der schwarzen Landschaft. Hin und wieder war ein weiches Glänzen zu sehen, wenn das Wasser das Sternenlicht reflektierte, aber die meiste Zeit über begleitete sie nichts als das kalte, blaue Schimmern der Sterne und das ständige Brüllen und Heulen in ihren Ohren.
Tallis’ Finger und Zehen wurden langsam taub, und er merkte, wie er immer häufiger kurz eindöste, um dann wieder hochzuschrecken. Sein Kopf sank nach vorne, und er wurde vom tiefen Dröhnen des Drachen in seiner Brust in einen Traum gezogen.
Es war Nacht, und er stand auf einer Straße. Rings um ihn herum erhoben sich viele Gebäude, die Fenster waren dunkel und von Läden verschlossen, und von irgendwo vor ihm näherte sich das Geräusch eiliger Schritte. Mit einem Schlag war er wachsam. Der Laut wurde von den Mauern zurückgeworfen. Er wusste, dass er
darauf zugehen musste, aber er hatte Angst, blieb reglos stehen und starrte ins Dunkel. Und dann rannte er plötzlich, und rings um ihn herum schwollen Misstöne in wildem Durcheinander an: Stimmen riefen, Menschen schrien. Tallis bog um eine Ecke, und die Häuser waren verschwunden. Er stand in der Finsternis und konnte das brackige Wasser riechen; eine Flammenwand türmte sich vor ihm auf, und er sah Shaans Silhouette vor sich. Seine Schwester drehte sich zu ihm um, schrie und streckte ihm ihre Hände entgegen.
Mit einem Ruck fuhr er aus dem Schlaf hoch. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er war seitlich aus dem Sattel gerutscht und
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