Der Herr Der Drachen: Roman
zwei Männer. Mit einem Zischen bog es den Kopf zurück, faltete seine Flügel zusammen und stieß schnell wie eine Schlange zu ihnen hinunter. Marathin kreischte und wich nach links aus; Tallis wurde beinahe aus dem Sattel geschleudert, als Haraka ihr folgte, sich wand, drehte und in Richtung Dschungel abtauchte. Der Wind pfiff Tallis in den Ohren, und seine Augen tränten, als der Drache in einem pfeilschnellen Sturzflug niedersauste. Mühsam drehte er den Kopf, um sich ein Bild von ihrem Verfolger zu machen. Sein Blut toste in seinem Schädel, und er konnte kaum atmen, weil der Wind an seinen Nasenlöchern vorbeiströmte.
Der größere Drache hatte sie beinahe erreicht. Als Tallis zu ihm emporsah, konnte er nichts als den mächtigen Körper drohend über ihnen aufragen sehen. Er wird zuschlagen, dachte Tallis, und klammerte sich in Erwartung des Hiebes an seinen Sattel. Doch im letzten Moment schoss der Angreifer über sie hinweg. Tallis’ Herz raste, als er einen kurzen Blick nach oben wagte. Nur knapp verfehlten die Flügelspitzen des Angreifers Harakas Hals. Tallis erhaschte einen Blick auf einen schwarzhaarigen Mann, der auf dem Tier saß. Und dann traf es ihn wie ein harter Schlag in den Magen: Da saß Shaan und klammerte sich verzweifelt an den Rücken des Unbekannten. Sie starrte zu ihm hinunter; ihre Augen waren vor Furcht und Entsetzen weit aufgerissen, und schon war sie wieder verschwunden. Der lange Schwanz des Drachen peitschte hinter ihm durch die Luft, als er über sie hinwegpreschte. Haraka ließ sich noch weiter absinken und folgte Marathin in eine dichte Nebelbank, die sich wie eine Faust um sie herum schloss.
Alterin beobachtete, wie der Semorphim mit seinen Reitern geschmeidig zur Landung ansetzte. Alle Muskeln in ihrem Körper
waren zum Zerreißen gespannt, und sie umklammerte Jareds Arm, unschlüssig, ob sie ihm half, sich auf den Beinen zu halten, oder ob es eher umgekehrt der Fall war. Das Tier landete am Flussufer vor dem Dorf. Es war größer als alle Drachen, die Alterin bisher zu Gesicht bekommen hatte. Die Farben an den Flanken schimmerten, als der Drache die Flügel auf dem feuchten Erdboden ausbreitete und der stachelige Schwanz die Erde aufriss.
Der große, dunkelhaarige Mann auf dem Rücken sprang auf den Boden und kam dann langsam auf die Dorfbewohner und Alterin zu, und ihr stockte der Atem in der Kehle. Seine Augen glichen denen Tallis’. Der Gedanke wirbelte ihr durch den Kopf, und beinahe hätten ihre Beine unter ihr nachgegeben. Es gab keinen Zweifel, dass es das gleiche, beinahe lilafarbene Blau wie bei dem Clansmann war. Und sie fühlte ihn. Der Gefallene war in ihrem Geist und summte, summte, wie Tallis es getan hatte. Ängstlich fragte sie sich, was das bedeuten mochte. Was hatten ihr die Geister verschwiegen?
Sie hielt Jareds Arm fest umklammert und richtete sich auf, als der Gefallene vor sie trat. Die Dorfbewohner um sie herum standen reglos da, denn sie spürten die Macht, die von ihm ausging. Sein Gesicht hatte feine, ebenmäßige Züge, grausam zwar, doch schön, und seine dunklen, lilafarbenen Augen starrten zu ihnen hinunter wie aus größerer Höhe, als sie es sich überhaupt vorzustellen vermochten.
Er breitete seine Arme aus und sagte mit einer weichen Stimme, die dennoch bis hoch in die Bäume trug: »Ich bin zurückgekehrt.«
Alle Dorfbewohner, auch Alterin und Jared, sanken auf die Knie, und ihre Haut schabte dabei über das harte Holz des Laufstegs. Als Alterin sich verbeugte, erspähte sie die Frau, die den Gefallenen begleitete. Sie war schmal und dunkelhäutig, und sie presste eine offenkundig verletzte Hand auf die Brust. Sie stand einen Schritt hinter dem Gefallenen, starrte Jared an, und ihre Augen waren weit aufgerissen, da sie ihn zu erkennen schien. Aber das war es nicht, was Alterins Herz einen Stich versetzte.
Die Fremde war die Frau, die sie in Tallis’ Geist entdeckt hatte.
37
A ls Rorc erwachte, war seine Haut von salzigem Schweiß überzogen und juckte. Ohne sich etwas über den Oberkörper zu ziehen, stand er auf und öffnete die Tür. Der Morgen war schon weit fortgeschritten, das Licht draußen jedoch gedämpft, denn die Sonne versteckte sich hinter einer dicken Wolkendecke, und der strömende Regen erschwerte den Blick über die Höfe und Gärten.
Noch immer trug Rorc seine Hose und die Stiefel, und sogar er selbst konnte den üblen Geruch von Sorge und Erschöpfung riechen, der ihn umgab.
Nachdem er sich von Tuon und
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