Der Herr Der Drachen: Roman
Veila verabschiedet hatte, war er in seine Räume im Palast zurückgekehrt, um zu schlafen. Aber der Regen hatte ihn aufgeweckt. Auch jetzt noch, nach all den Jahren, fand er es manchmal schwer, sich an das viele Wasser zu gewöhnen. Er lockerte seine verkrampften Schultermuskeln und streckte seinen Hals, dann zog er sich die Stiefel aus und trat in den Regen hinaus. Er legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ sich vom warmen Regen überströmen. So stand er auf dem Hof, hob die Arme und strich sich das Haar aus dem Gesicht, während das Wasser in Bahnen seinen Körper hinunterlief und Schmutz und Schweiß abwusch.
Er öffnete den Mund, um ein paar Schlucke Wasser zu nehmen, und dachte an Tuon. Die Sorge um sie war wie eine Faust in seinem Magen. Um diese Jahreszeit konnte die See rau sein, doch er wollte sich seinen Befürchtungen nicht hingeben. Ashuk war eine gute Schiffsmeisterin, eine der besten. Bei ihr war sie in Sicherheit, besonders, da sie den Leichnam eines der ihren an die heimatlichen Gestade zurückbrachten.
Noch einmal ließ sich Rorc den Mund mit Wasser volllaufen, da spürte er, dass ihn jemand beobachtete. Er schlug die Augen auf und sah einen Botenjungen unsicher in der Tür stehen.
»Ja, was gibt es?«
Mit zitternden Fingern streckte ihm der Knabe eine kleine Schriftrolle entgegen. »Von Herrin Nilah, Herr«, sagte er nervös.
Rorc wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und deutete auf ein dickes Handtuch auf seinem Bett. »Bring mir das.« Er wartete unter dem schmalen Säulengang, bis der Junge es geholt hatte und er sich abtrocknen konnte. Dann schickte er den Boten davon, ehe er die Nachricht in seinem Zimmer öffnete und die knappe Botschaft überflog. Beim Lesen verdunkelten sich seine Augen. Mit einem zornigen Fluch warf er die Schriftrolle auf den Boden, zog sich eilig um und verließ dann den Raum, um Morfessa zu suchen.
In Arlindahs privatem Arbeitszimmer entdeckte er ihn schließlich auf einem Stuhl. Reglos saß er da und starrte in den Regen hinaus.
»Rorc.« Morfessa sah nicht auf, als Rorc die Tür schloss. Die Trauer hatte tiefe Furchen in die graue Haut seines Gesichts gegraben, und seine Augen wirkten alt und müde.
»Nilah hat mir eine Botschaft geschickt.« Rorc trat zu ihm. »Sie hat mir von dem Treffen mit dem Rat berichtet. Sie hat einen Gesandten aus Hasan Daag wegen des Mordes an Arlindah festsetzen lassen, und Lorgon drängt zum Krieg gegen die Freilande.«
Morfessa stieß eine Erwiderung zwischen den Zähnen hervor, dann sah er wieder in den Regen hinaus. Rorc verzog das Gesicht.
»Morfessa.«
»Was?« Aus verquollenen Augen blickte ihn der alte Mann an, und erst jetzt schienen Rorcs Worte zu ihm durchzudringen. »Ja, ja«, nickte er. »Das Gift, das benutzt wurde. Es wächst nur in den Freilanden. Ich fand eine Spur davon in ihrem Essen. In ihrer letzten Mahlzeit.« Er schloss die Augen.
»Was ist geschehen? Weshalb steht der Gesandte unter Anklage?«
»Lorgon ließ die Räume aller Botschafter durchsuchen. In seinem Zimmer wurde eine Phiole gefunden.«
»Wie passend«, murmelte Rorc, und der Zorn in ihm wuchs. Er war der Oberbefehlshaber, Arlindahs Kriegsherr, und Lorgon hatte ihm nichts von der Durchsuchung erzählt. Der Mann übertrat die Befugnisse seines Amtes. Doch er biss die Zähne zusammen und versuchte, sich auf die unmittelbaren Gefahren zu konzentrieren.
»Ist Balkis schon vom Aufstellen der Wachen zurückgekehrt?«, fragte er.
»Hmmm, was? Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Morfessa.« Rorc hockte sich hin, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Was machst du hier? Wo steckt Cyri?«
Der alte Mann sah ihn aus leeren Augen an. »Sie ist wirklich fort, nicht wahr? Ich hatte nicht … Ich kam hierher, wo sie immer saß und …« Er schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. »Eva und ich, wir hatten nie Kinder, Rorc. Arlindah war wie ein Kind für mich, meine Tochter.«
»Morfessa. Um Nilahs willen musst du dich zusammenreißen.«
Er schüttelte den Kopf, als habe er ihn nicht gehört. »Wie hast du es nur ausgehalten, als du deine Familie verloren hast, Rorc? Wie konntest du weitermachen, als sie dich verstießen und dich fortschickten? Es muss dasselbe Gefühl gewesen sein. Als ob sie alle gestorben wären, man sie dir entrissen hätte.«
Rorc rückte von ihm ab. »Du weißt genau, dass du mich danach nicht fragen darfst, alter Mann. Die Vergangenheit ist Geschichte. Warum fängst du immer wieder davon an?«
»Für
Weitere Kostenlose Bücher