Der Herr Der Drachen: Roman
gefolgt?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat sie sich Sorgen um mich gemacht. Sie ist nicht dumm, Rorc. Jeder weiß, dass man sich nicht mit den Glaubenstreuen anlegen sollte. Die Götter wissen, dass ich selbst das oft genug zu ihr gesagt habe. Warum kannst du sie nicht einfach gehen lassen?«
Einen Moment schwieg er, ehe er ihr antwortete: »Es sind gefährliche Zeiten, Tuon. Du warst heute Abend bei der Versammlung; du hast gehört, was gesprochen wurde. Es gibt welche, die daran glauben, dass der Gefallene wieder zurückgekehrt ist, und
der Angriff unserer eigenen Drachen auf dem Markt hat dieser Überzeugung neue Nahrung verschafft. Die Seherin hat von jemandem gesprochen, den sie im Zwielicht gespürt hat, von einem, der mit dem Gefallenen in Verbindung stehen könnte, oder einem Katalysator, der ihn wieder in die Welt bringen will. Ich kann niemanden behandeln, als wäre er über jeden Verdacht erhaben.«
»Shaan ist keine Anhängerin des Gefallenen«, unterbrach ihn Tuon, der sein Tonfall gar nicht behagte.
»Höchstwahrscheinlich nicht. Und doch ist Morfessa von ihr beunruhigt. Ich kann seine Empfindungen nicht so leichtfertig beiseitewischen. Er ist kein Seher, aber er hat den Großteil seiner Jahre nach dem Tod seiner Frau damit verbracht, Hinweise auf den Verbleib des Schöpfersteines zu finden. Er weiß viel.«
Tuon wurde kalt. »Aber nicht alles. Und der Schöpferstein ist ein Mythos, eine Legende. Hat er wirklich irgendetwas gefunden?«
»Stellst du tatsächlich die Weisheit des Ratgebers der Führerin in Frage?«, erkundigte sich Rorc, und sie zögerte.
»Natürlich nicht. Ich versuche nur, Shaan zu beschützen. Sie ist wie eine Schwester für mich. Bitte, Rorc, lass sie einfach gehen.«
Einen Moment lang schwieg er, dann erschien eine Falte zwischen seinen Augen, und auf seinem Gesicht malte sich ein Ausdruck großer Müdigkeit. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich neben sie auf einen Stuhl sinken. Tuon legte die fest verschränkten Hände in den Schoß, denn Rorcs Nähe verunsicherte sie.
Nichts lief so, wie sie es geplant hatte. Als sie heute Nacht hierhergekommen war, hatte sie vorgehabt, ihm mitzuteilen, dass ihre Abmachung keinen Bestand mehr habe und dass sie nicht mehr für die Glaubenstreuen arbeiten wolle. Aber wie immer hatte er ihren Willen gebrochen. Die Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, würden ihr nicht über die Lippen kommen. Nun, da sie ihn so sah, mit der steilen Furche über der Nase und dem erschöpften Ausdruck auf dem Gesicht, wie konnte sie ihn da verlassen? Ihn, der ihr das Leben gerettet hatte.
»Ich kann sie nicht gehen lassen, ohne sie befragt zu haben«, verkündete Rorc in die Stille hinein. »Aber ich verspreche dir, dass ich ihr nichts tun und sie auch nicht hierbehalten werde.« Er sah zu ihr auf, und einen Moment lang ließ sie es zu, dass sie einander in die Augen schauten.
»Danke.« Sie holte Luft. »Wann willst du mich das nächste Mal sehen?«
»Ich habe einen Auftrag für dich.«
»Ein Mann?«
»Ja. Einer aus dem Rat der Neun, Lorgon, veranstaltet ein kleines Bankett und wird für … Kurzweil sorgen. Ich habe mich darum gekümmert, dass du dabei bist. Ich brauche dich, damit du dich ihm näherst und so viel, wie dir möglich ist, herausfindest.«
Tuon wurde das Herz schwer. Sie hatte schon zuvor mit Berater Lorgon zu tun gehabt und kannte seine Vorlieben. Mühsam würgte sie die plötzlich aufsteigende Bitterkeit hinunter. »Wann?«
»Morgen.«
»Warum Lorgon? Was vermutest du?«
Er runzelte die Stirn. »Du weißt, dass ich dir das nicht verraten werde.«
»Wie schlimm ist es?«, drang sie weiter in ihn, denn mit einem Mal wollte sie unbedingt einen Grund für seinen letzten Befehl kennen.
Er zögerte.
»Sag es mir doch einfach. Du kannst mir vertrauen, Rorc. Ich setze mein Leben dabei aufs Spiel. Wenn er mich enttarnt …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
Seine Lippen wurden schmal, als er sagte: »Die Führerin ist in letzter Zeit nicht wohlauf, das ist alles. Ich will nur … die Lage überprüfen.«
»Du verdächtigst Lorgon?«
»Ich hege keinerlei Verdächtigungen«, sagte er rasch. »Erledige das einfach und erstatte mir Bericht. Und mach dir keine Sorgen, ich würde dein Leben nicht aufs Spiel setzen. Wenn es hart auf hart kommen sollte, wärst du nicht allein.«
»Was meinst du damit?«
Er seufzte. »Tu es für mich, Tuon, und vertraue mir.«
Sie sah ihn an, wandte dann aber den Blick ab, denn
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