Der Herr Der Drachen: Roman
ein hohler Schmerz auf. Wollten sie ihn ausstoßen? Vielleicht sollte das so sein. Der bloße Gedanke daran fuhr ihm wie eine Speerspitze ins Rückgrat. Er wollte mit niemandem sprechen und auch nicht sehen, wie sich noch jemand von ihm abwandte, und so entfernte er sich vom Lager. Kein Mond stand am Himmel, und er blieb an einem kleinen Busch stehen, um seine Notdurft zu verrichten. Die Sterne leuchteten hell an der endlosen, dunklen Himmelskuppel. Die Luft war windstill, und mit dem Rücken zum Lager schrumpfte die Welt zusammen, bis sie nur noch aus strahlenden Sternen und Finsternis bestand. Lange Zeit verharrte Tallis in der geräuschlosen Wüste und starrte empor.
Am nächsten Morgen packten die Jäger ihr Lager zusammen, um sich auf den Heimweg zu machen. Männer und Frauen arbeiteten schnell, bauten die Zelte ab, schnürten die Kochutensilien zu Bündeln zusammen, holten das wenige Wild, das sie erlegt hatten,
und stapelten alles auf den Muthu-Wagen. Tallis half seiner Mutter mit ihrem Zelt. Mailun war wortkarg und bat ihn lediglich, das eine oder andere für sie zu tragen. Seinem Blick wich sie aus. Ihr Körper wirkte wie zusammengesunken, und sie war so blass, dass ihn der Anblick schmerzte.
Normalerweise brachen sie ihr Lager unter viel Gelächter ab. Jeder Jäger prahlte sonst damit, wie viel Beute er gemacht hatte, und hin und wieder ertönte ein Lied angesichts der Aussicht, nach Hause zurückzukehren, geliebte Menschen wiederzusehen oder in den heißen Quellen zu entspannen. Doch nun hing eine tiefe Stille über der Gruppe. Die Stimmen klangen gedämpft, und nur wenige Worte wurden gewechselt. Selbst die Wüste war windstill und kein Geräusch war zu hören, als ob das Tuch, das über der Gruppe zu liegen schien, sich auch über den Sand ausgebreitet hätte.
Tallis konnte die Augen der anderen in seinem Rücken spüren, während er arbeitete. Er versuchte, sie zu ignorieren, aber jeder Muskel, jede Sehne seines Körpers war angespannt oder verkrampft, ihm war flau im Magen, und er spürte Übelkeit aufsteigen. Er konnte nichts essen und versuchte immer wieder, sich daran zu erinnern, was geschehen war, um es doch noch begreifen zu können. Aber es war, als kämpfte er darum, einen flüchtigen Traum festzuhalten. Vielleicht war es besser, nichts zu wissen.
»Tallis?«
Jared näherte sich ihm, seinen Speer fest umklammernd und mit sehr aufrechter Körperhaltung. »Tallis.« Seine Stimme wurde kräftiger und ein wenig lauter, als es nötig gewesen wäre. »Ich bin froh zu sehen, dass du aufgewacht bist. Geht es dir gut?«
Über die Schulter hinweg sah Tallis die anderen Mitglieder der Jagdgruppe, die sie beobachteten. Sie alle wandten rasch den Blick ab, wenn er ihnen in die Augen schauen wollte, aber er wusste, dass sie jedes Wort mithörten.
Er nickte langsam. »Ja, Bruder. Ich bin müde, aber ich bin noch ganz ich selbst.«
Erleichterung flackerte in Jareds Augen auf. Vielleicht war auch
er ein wenig misstrauisch gewesen. Dieser Gedanke machte Tallis traurig.
Jared packte ihn am Oberarm. »Dann läufst du auf dem Weg zurück zu unserem Brunnen neben mir.«
Es war keine Frage. Tallis nickte, und Jared schüttelte kurz seinen Arm und sah ihm in die Augen, ehe er sich umdrehte und zurück zu Irissa ging, die ihr Zelt zusammenschnürte.
Tallis bemerkte, dass Karnit ihn mit unergründlichem Ausdruck beobachtete. Tiefe Linien waren neben seinem Mund ins Gesicht gegraben, seine Nase war spitz und lang und sein Kinn bedeckt mit einem gestutzten, weißen Bart. Seine langen Zöpfe, die mittlerweile ebenfalls weiß geworden waren, waren zurückgebunden, und er musterte Tallis aus wässrigen, blauen Augen. Tallis fragte sich, was er wohl dachte. Was würde er dem Kreis der Führer berichten, wenn sie zurückgekehrt waren?
Sein Herz schmerzte, und er wandte den Blick zum Podest, auf dem sein Vater lag. Nun war er selbst der letzte Mann in seiner Familie. Zuerst waren seine Brüder und nun auch sein Vater zu Kaa gegangen. Der Krampf in seinem Innern löste sich, und ein benommenes Gefühl der Übelkeit stieg in ihm auf. Würde Karnit wollen, dass er zum Ausgestoßenen würde? Verzweiflung überwältigte ihn. Was hatte er denn getan?
Er versuchte, sich zusammenzureißen. Es wäre klug, jetzt zu zeigen, dass er dem Clan noch immer ergeben war. Er senkte den Blick und beugte den Kopf, und er drehte die Handflächen flach angelegt an seinen Seiten nach außen als Zeichen des Respekts. Aber als er wieder
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