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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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stiegen in den kalten Himmel auf, und der Turm wuchs uns s o fort entgegen, kroch hinter den Bergen hervor, diese schwarze Nadel, die in die Wolken stach. Er war ganz nah und die zehn Flugminuten verschmolzen zu einem einzigen kurzen Moment. Wie sehr ich mich in diesen Tagen an die Flügel gewöhnt hatte …
    Einen Eingang fanden wir tatsächlich auf Anhieb. Der Kater sprang von Lens Arm runter und flog zielsicher auf eine der Schießscharten zu, die in den Turm in einer Höhe von zehn Metern eingelassen w a ren. Die Öffnung war durch ein feines Gitter gesichert, durch das nicht mal der Kater kriechen konnte. Er hing vor dem Spalt in der Luft und schaute uns erwartungsvoll an.
    Aus irgendeinem Grund wollte er, dass ich die folgenden Worte au s sprach.
    »Versuch ’ s mal, Len«, bat ich meinen Junior.
    Als das Gitter bei der Berührung seiner Hände in der Wand ve r schwand, zwängte ich mich als Erster durch die Schießscharte. Ich konnte es nicht mehr erwarten, die Gesichter meiner Feinde zu sehen. Und ich wollte endlich das Gewicht des Wahren Schwerts in meiner Hand spüren.
    Aber niemand lauerte uns auf.

6 Der Wahre Feind
    I m Turm war es dunkel und still. Wir befanden uns in einem kleinen Raum, der eine halbrunde Wand hatte. Durch eine offene Luke in der Decke führte eine Leiter, ein dünnes und unsolides Metallding, das überhaupt nicht hierherpasste. An der Wand brannte eine Fackel mit schwarzer Flamme. Durch das Visier konnten wir sogar in ihrem Licht, diesem rotlila Schummerlicht einer Dunkelkammer, etwas e r kennen.
    »Sie sind oben«, sagte Len tonlos.
    »Sicher?«, fragte ich.
    »Ich spüre sie«, erklärte Len ruhig. »Sie … sie rufen mich.«
    Der Sonnenkater schielte alarmiert zu Len rüber, marschierte dann schweigend zur Leiter hin und flog parallel zu ihr durch die Luke ins nächste Stockwerk.
    »Len!« Ich versuchte den kalten Klumpen, der in meiner Brust wuchs, zu ignorieren. »Du solltest da besser nicht raufgehen. Ich schaff das schon allein. Ich habe ja das Wahre Schwert.«
    »Noch bin ich ja kein Freiflieger.« Lens Lippen verzogen sich zu e i nem seltsamen Lächeln, wie ich es noch nie an ihm gesehen hatte. »Ich kann durchhalten … solange wir zusammen sind.«
    Ich stellte mich dicht vor ihn hin, fasste ihn beim Ellbogen und sah ihm in die Augen. Sie waren wie immer. Nur ganz tief unten, im schwarzen Abgrund der Pupille, zitterte der dunkelrote Widerschein der Fackel.
    »Len, wir lieben dich. Wir glauben an dich … «
    Das hätte ich mir auch sparen können. Das hier war weder der Ort noch der Zeitpunkt für solche Worte. Sie hingen in der Dunkelheit, leer und leblos, womit sie vorzüglich zu diesem Turm der Freiflieger passten – aber nicht zu Len und mir. Freiflieger können ebenfalls li e ben und glauben, nur sehen ihre Liebe und ihr Glaube anders aus.
    »Gehen wir, Danka«, meinte Len. »Der Kater wird schon wütend, das spüre ich.«
    Er nahm inzwischen also schon Wut, Bosheit und Schmerz wahr!
    »Gut, Len.« Ich nickte.
    Die Eisensprossen der Leiter waren kalt. Ich kletterte voran, Len folgte mir. Weit oben, über unseren Köpfen, schwirrte als winziger orangefarbener Punkt der Sonnenkater.
    Nach einer Weile gelangten wir in einen großen, runden Raum. Auch er war leer. Allerdings gab es hier mehr Fackeln, ihr purpurrotes Licht brannte in den Augen. Mitten im Raum schlängelte sich eine Wendeltreppe weiter nach oben.
    »Müssen wir etwa ganz bis zur Spitze rauf?«, fragte ich.
    »Nein.« Len schüttelte den Kopf. »Höchstens noch hundert Meter, mehr nicht.«
    Als ich mir einen Anstieg von hundert Metern vorstellte, fingen meine Beine an, zu zittern. Und dann würden wir uns da oben auch noch mit den Freifliegern schlagen müssen …
    »Hast du etwa Angst?«, fragte der Kater und sah mich scharf an.
    Statt zu antworten, stapfte ich zur Treppe. Der Boden in dem Raum war mit schwarzen und weißen Fliesen ausgelegt, da und dort waren Luken eingelassen, aus denen Eisenleitern herausragten. Das hier musste eine Art Zentrale der Wachposten sein, zu der alle Wege aus den unteren Stockwerken des Turms führten. Nur gab es keine W a chen mehr, denn alle waren in den Kampf gezogen …
    »Danka!«, schrie Len verzweifelt.
    Ich wirbelte herum – und sah, wie aus der Luke, an der ich gerade vorbeigekommen war, ein schwarzer Schatten herausschoss. Der Fre i flieger landete schwer und seine Krallen kratzten den Boden auf. Er starrte Len an. Über sein Gesicht huschte der Anflug eines

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