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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Finsternis gewonnen.«
    Len warf den Kopf von einer Seite auf die andere.
    »Danach haben sie mir das Herz herausgenommen«, fuhr Iwon fort. »Wieder ganz langsam. Damit das ganze Licht aus ihm in die Finste r nis einging. Aus unserem Herz machen sie ihre Flügel. Solche, die jeden tragen können, nicht nur ein Kind.«
    »Wozu willst du ohne Herz fliegen?«, hauchte Len. Iwon überhörte die Frage.
    »Sie haben mein ganzes Blut abgelassen. Aus ihm gewinnen sie das Schwarze Feuer, mit dem wir euch in den Bergen so hübsch anzü n den. Wenn der Gegenwärtige es erlauben würde, hätten wir damit längst all eure Städte in Schutt und Asche gelegt. Das Blut wird ganz langsam abgezapft, denn auch aus ihm muss alles Licht herausgepresst werden.«
    »Bei dir hätten sie ruhig schnell machen können«, meinte Len mit einem Mal ganz ruhig. »Du hattest sowieso nie Licht in dir, weder in den Augen noch im Herzen oder im Blut.«
    Bravo, Len! Iwon zuckte zusammen, als hätte er eine gewischt b e kommen. Trotzdem fuhr er mit derselben gleichmütigen Stimme fort: »Soll ich dir die ganze Prozedur schi l dern? Wir nehmen dir viel, damit du leichter fliegen kannst. Und wir bekommen viel – das wir den Händlern verkaufen oder dir selbst z u rückgeben. Du siehst, du brauchst keine Angst zu haben … «
    Beinahe wäre ich drauf reingefallen und hätte gedacht, Iwon wolle Len tatsächlich mit diesen Worten beruhigen. Aber da brach er plöt z lich in ein krächzendes, gemeines Lachen aus, das mir zeigte: Ihm machte das Spaß. Er genoss es, Len zu quälen. Er war einfach ein S a dist. Schon immer gewesen – selbst als er noch ein Flügelträger gew e sen war.
    Warum hatte ich ihn damals nicht umgebracht?
    »Du redest zu viel«, meinte der andere Freiflieger plötzlich. »Man merkt, dass du noch bis vor Kurzem ein Mensch gewesen bist. Lass das lieber.«
    »Das muss sein«, zischte Iwon. »Ich kenne die Menschen besser als du. In dem hier wächst jetzt Finsternis. Aus Angst. Weil er die Schmerzen ahnt, die ihm bevorstehen. Ich weiß das.«
    »In mir wird es nie Finsternis geben!«, schrie Len. »Ich werde nä m lich einfach während eurer Folter sterben!«
    »Wirst du nicht. Man stirbt nie ganz«, erläuterte Iwon. »Siehst du das hier?«
    Er hob die schwarze Phiole, die er in Händen hielt.
    »Das ist Schwarzes Feuer. Schwach und verdünnt. Das verbrennt dich nicht, wenn wir es dir einflößen. Das brennt bloß den Mensche n tod und jedes Menschengefühl in dir aus. Aber das ist nur der erste Schritt. Siehst du diese Phiole?«
    Iwon streckte die Hand aus und riss Len die Brille von der Nase. »Und jetzt siehst du nichts mehr«, triumphierte er. »Bis dir die Fin s ternis neue Augen gibt.«
    Abermals versuchte ich das Gitter herauszureißen – vergeblich. Ich konnte mich nicht länger halten und rutschte auf den Boden, wobei mir völlig egal war, ob die nebenan mich hörten oder nicht. Ich rannte zur Tür und rüttelte an ihr. Was um alles in der Welt sollte ich tun? Gegen die Wand hämmern, während sie … Nein, nicht während sie meinen Freund töteten oder folterten, sondern während sie ihn in ein Monster verwandelten?
    »Denk an jemanden, den du liebst«, hörte ich eine Stimme auf der anderen Seite der Wand. »Denk an ihn, damit das Schwarze Feuer aus der Liebe eines Menschen die Liebe eines Freifliegers macht. Dann findest du leichter Freunde, die du zu uns führst.«
    »Ich werde nicht an dich denken, Danka!«, brüllte Len in einer We i se, dass mein Herz kurz aussetzte. »Das werde ich nicht!«
    Dann verstummte er, als halte ihm jemand den Mund zu. Auch ich schrie etwas und trat mit voller Wucht gegen die Steinwand, um sie zum Einsturz zu bringen – oder selbst zu sterben.
    Die Sekunden dehnten sich in alle Ewigkeit aus. Mit einem Mal e r blickte ich die ganze Wand, jeden Stein, jeden Krümel des schwarzen Mörtels, der die Ziegel aufeinanderhielt. Und die purpurroten Punkte, die zwischen den Steinen funkelten. Der Mörtel enthielt wohl Schwa r zes Feuer, das wiederum aus Menschenblut hergestellt wurde.
    So viel Mühe die Freiflieger sich auch gaben – ganz pressten sie das Licht eben nie aus dem Blut!
    Während ich auf die Wand einhämmerte, hielt ich den Wahren Blick fest auf einen dieser funkelnden purpurroten Punkte gerichtet. Die Steine wackelten und bebten, als wäre die ganze Wand bloß aus Ba u klötzen für Kinder errichtet.
    Nachdem ich die Wand eingerissen und mich wie durch ein Wunder vor den niederprasselnden

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