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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ganz vergessen, echte kräftige Farben schon.
    Das Holz der Jacht war bernsteingelb, das Segel schneeweiß, die Metallelemente der Takellage aus dunkler Bronze und rotem Kupfer. Oben am Mast flatterte ein blauer Wimpel, der beinahe mit dem Himmel verschmolz. Um uns herum erstreckte sich bis zum Horizont ein ruhiges, azurblaues Meer.
    Die Jacht trieb dahin, als sei sie nicht eben noch mit dem Tempo e i nes Torpedos vorwärtsgejagt. Dafür machte sich der Seegang jetzt bemerkbar. Ich griff nach Garets Hand, um nicht hinzufallen. Diese lächelte, etwas von oben herab, aber auch zärtlich.
    Von achtern kam schwankend und blinzelnd Len angestapft. Der Kater wirbelte mit irren Sprüngen um ihn herum.
    »Sind … sind wir nicht mehr bei uns?«, fragte Len.
    »Wir sind in eine andere Welt gefahren«, antwortete ich.
    »In deine?«
    »Nein, ich glaube nicht … « Fragend sah ich Garet an.
    »Das ist die Welt des Königreichs Tamal, Jungs«, sagte Reata an i h rer Stelle. »Eine sehr schöne Welt. Das stimmt doch, Mama, oder?«
    »Ja«, antwortete Garet ihrer Tochter, bevor sie sich wieder an mich wandte. »Es wird dir hier gefallen, Danka.«
    Ich stutzte. »Wollt ihr denn nicht zurück?«
    »Nein«, sagte Garet. »Denn eure Welt hat uns nichts mehr zu bieten. Die Klugen verlassen sie als Erste, die Gierigen bleiben bis zum Schluss. Es war ein Vergnügen, mit den Freifliegern zu handeln … und auch mit euch, den Flügelträgern … aber alles hat einmal ein Ende.«
    »Warum das?«
    So, wie Garet den Kopf schüttelte, schien die Frage sie zu erstaunen. »Du solltest das doch eigentlich wissen, Junge mit dem Wahren Blick, der du aufseiten des Lichts stehst. Wir, die Händler, ahnen es, wenn ein Wechsel bevorsteht.« Sie setzte ein überhebliches Lächeln auf. »Die Frauen der Händler verlassen die Welt der Flügelträger. Die Männer spüren zwar auch, dass sie bald gehen müssen, trauen ihren Gefühlen jedoch nicht. Sie wollen den Rahm selbst dann noch a b schöpfen, wenn dieser längst nicht mehr existiert.«
    Ich nickte, als wüsste ich, wovon sie sprach. Dann blickte ich zu Len hinüber. Der reckte den Kopf und glotzte die am Horizont stehende Sonne an.
    »Du Idiot!«, schrie ich und drückte Len meine Hand vor die Augen.
    Len rührte sich nicht mal. »Selbst durch die Hand hindurch leuchtet es«, schwärmte er begeistert. »Ist das die Sonne, Danka?«
    »Ja, du Blödmann! Aber du versaust dir die Augen!«
    »Wie das?« Len versuchte, sich aus meiner Umklammerung zu b e freien.
    »Man darf die Sonne nicht so lange anstarren«, belehrte ich ihn. »Merk dir das! Man darf nicht in die Sonne blicken!«
    »Wirklich nicht?«, fragte Len misstrauisch.
    Ich nahm meine Hand von seinen Augen. »Was siehst du jetzt?«, wollte ich wissen.
    »Bunte Kreise … «
    »Schließ die Augen und setz dich hin«, forderte ich ihn auf. Darau f hin wandte ich mich an den Kater, der in der Luft schwebte und – g e nau wie gerade eben Len – unverwandt in die Sonne starrte. »Sind seine Augen jetzt verdorben?«
    »Nein«, beruhigte mich der Kater. »Das geht gleich vorbei.«
    Ich sah wieder zu Len hin, der nun auf Deck saß und gehorsam die Augen zusammenkniff. Erst jetzt, hier im Sonnenlicht, erfasste ich, wie bleich er wirklich war.
    Seine Haut schimmerte so weiß, dass sie beinah blau wirkte. Seine Haare waren absolut hellbraun, wie ausgeblichen – von der Finsternis. Der schwarze Stoff der Flügel unterstrich seine Blässe noch zusät z lich. Eine echte Horrorgestalt …
    Ich hockte mich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Was machen deine Augen?«, fragte ich.
    »Schon besser. Jetzt ist alles dunkel«, sagte Len, der nach wie vor die Augen zusammenkniff.
    »Du kannst die Augen jetzt wieder öffnen.«
    Len sah mich an und lächelte. »Wird es bei uns genauso werden, Danka?«
    »Klar«, versprach ich mit fester Stimme. »Noch besser sogar. Ihr werdet Sonnenauf- und -Untergänge haben, Wolken, durch die we i ches Licht fällt, und Nächte, in denen Sterne leuchten.«
    Len nickte, schnell und gehorsam, fast als hinge davon ab, ob meine Worte auch Wirklichkeit wurden.
    »Wollt ihr baden, Jungs?«, rief Garet. Ich drehte mich um – und hä t te beinahe auch die Augen zusammengekniffen: Garet zog sich aus. Oben war sie schon nackt, jetzt zog sie gerade den Reißverschluss ihrer Jeans auf. Reata stand bereits splitternackt da. Völlig gelassen lehnte sie an der Reling der Jacht und schämte sich nicht im Gering s ten vor Len und

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